Eduardo R. Miranda über Kreativität, Musik und künstliche Intelligenz
Viele Leute werden ziemlich überheblich, wenn sie über künstliche Intelligenz in den Künsten sprechen…
Das ist das Ende der Kreativität! Das killt die Musik! KI wird uns eines Tages überholen!
In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall. Technologien, die mit Automatisierung und Algorithmen arbeiten, helfen uns dabei, noch kreativer zu werden. Von DAWs bis zu MIDI-Controllern, viele Musiktechnologien, die wir tagtäglich benutzen, beinhalten irgendeine Art von ‘Intelligenz’.
Das führt zu solch schwierigen (und extrem faszinierenden) Fragen wie: Was ist Kreativität? Was ist Intelligenz? Und wie können wir sie für die Musikproduktion nutzbar machen?
Auf der Suche nach Antworten habe ich mit einer der Schlüsselfiguren auf dem Gebiet der Schnittstelle von KI und Musik gesprochen: Eduardo R. Miranda.
LANDR: ERZÄHLE UNS EIN BISSCHEN WAS ÜBER DEINEN HINTERGRUND.
ERM: Ich habe zuerst Informatik studiert, und dann Komposition in Brasilien. Anschließend bin ich für meine Promotion nach Großbritannien gezogen. Ich habe meinen Doktor an der University of Edinburgh gemacht, mit einer Doktorarbeit über KI-unterstütztes Sounddesign.
Nachdem ich einige Jahre an der University of Glasgow Computer-Musik unterrichtet habe, bin ich als Forscher zum SONY Computer Science Laboratory in Paris gegangen.
Während meiner Zeit in Frankreich habe ich zudem Computerwissenschaften an der American University of Paris und Komposition am CCMIX – dem Iannis Xenakis Zentrum für Musikkomposition – unterrichtet.
2003 habe ich mich dann endgültig in Großbritannien niedergelassen, um das Interdisciplinary Centre for Computer Music Research (Interdisziplinäres Zentrum für Computer-Musik-Forschung) an der Plymouth University zu gründen, wo ich derzeit eine Forschungsprofessur innehabe.
LANDR: WIE IST DEIN INTERESSE FÜR KI UND MUSIK ZUSTANDE GEKOMMEN?
ERM: Nach meinem Abschluss in Informatik bin ich zurück an die Uni gegangen, um Musik zu studieren. Während einer meiner Besuche in der Bibliothek bin ich über eine Doppelausgabe der französischen Fachzeitschrift La Revue Musicale mit dem Titel Xenakis und Musikstochastik gestolpert. Darin war ein Artikel über das Werk des in Rumänien geborenen und in Paris arbeitenden Komponisten Iannis Xenakis, über den ich vorher noch nicht wirklich viel wusste.
Es stellte sich heraus, dass er einer der wichtigsten Komponisten moderner klassischer Musik ist.
Damals war mein Französisch noch nicht so gut, aber ich habe sofort Venn-Diagramme, Mengentheorie, logische Formalismen und Wahrscheinlichkeitsformeln entdeckt – Dinge, die mir durch mein vorangegangenes Studium vertraut waren.
Das war ein Moment der Offenbarung: Mir wurde bewusst, dass ich mein Informatik-Wissen mit meiner Expertise in der Musik verbinden kann. Ich war fasziniert von der Idee, dass man Computer so programmieren kann, dass sie Musik generieren, und ich habe mich sofort eingehender mit dem Feld der KI, das damals noch in den Kinderschuhen steckte, beschäftigt.
LANDR: WIE WÜRDEST DU JEMANDEM, DER ODER DIE ABSOLUT KEINE AHNUNG DAVON HAT, ‘KÜNSTLICHE INTELLIGENZ’ ERKLÄREN?
ERM: Generell wird künstliche Intelligenz definiert als die Kunst, Computer so zu programmieren, dass sie Aufgaben verrichten, die als intelligent eingestuft werden. Das Problem dabei ist, dass Intelligenz ein ziemlich schwierig zu definierendes Konzept ist.
Bis vor kurzem wurde Intelligenz mit rationalem Denken, Logik und mathematischer Argumentation usw. assoziiert. Auf der Basis dieser Definition hat das Gebiet der KI innerhalb der letzten 50 Jahre immensen Zulauf erfahren. Dabei wurde eine Vielzahl an Methoden entwickelt, mit denen man Computer so programmieren kann, dass sie Intelligenz nachahmen.
Heutzutage wird intelligentes Verhalten allerdings eher mit Kreativität, Emotionen und Intuition in Verbindung gebracht als mit Mathematik oder Logik. Und es ist mittlerweile weithin anerkannt, dass außer dem Menschen auch Tiere eine gewisse Form von Intelligenz aufweisen, die keine Logik oder mathematisches Denken erfordert.
Da ist es wenig überraschend, dass die Forschungsgemeinschaft auf dem Gebiet der KI nur schwer vorankommt, denn ein solcher Intelligenz-Begriff ist viel umfassender.
LANDR: WIE REAGIERST DU AUF DIE BEFÜRCHTUNG, DIE MANCHE LEUTE ÄUßERN, DASS KI EINES TAGES MENSCHLICHE KREATIVITÄT UND ARBEIT ERSETZEN KÖNNTE?
ERM: Menschen haben schon in der Urzeit Technologien entwickelt, die das Arbeiten erleichtern, teilweise sogar ersetzen sollen. Das ist nichts Neues. Es ist unvermeidbar, dass hier und da das Eine oder Andere auch in Zukunft ersetzt werden wird.
“Ich bevorzuge es, KI als etwas zu betrachten, das die Menschheit nicht vernichtet, sondern sich zu Nutze macht.”
Ich bevorzuge es jedoch, KI als etwas zu betrachten, das die Menschheit nicht vernichtet, sondern sich zu Nutze macht. Ich bin beispielsweise daran interessiert, KI-Systeme zu entwickeln, die mir dabei helfen, kreativ zu sein. Ich interessiere mich nicht für KI-Systeme, die automatisch komplette Musikstücke komponieren.
Musikstücke, die komplett von einem Computer generiert sind, finde ich wenig ansprechend. KI-Systeme hingegen, die mir dabei helfen, Musik zu schaffen, die ich sonst nie hatte kreieren können, finde ich faszinierend. Häufig betrachte ich computergenerierte Musik als Saat oder rohes Material für meine Kompositionen.
LANDR: WIE KANN UNS DEINER MEINUNG NACH KÜNSTLICHE INTELLIGENZ DABEI HELFEN, MENSCHLICHE KREATIVITÄT BESSER ZU VERSTEHEN?
ERM: ForscherInnen, die auf dem Gebiet der KI arbeiten, gehen häufig so vor, dass sie bestimmte Aspekte intelligenten Verhaltens isolieren und dann Modelle bauen, um sie nachzuahmen. Anhand solcher Modelle können wir Versuche durchführen, die darauf abzielen, diese Aspekte im Detail zu verstehen.
“Ich persönlich bin weniger daran interessiert, anhand von KI Kreativität zu verstehen. Mein Interesse liegt vielmehr darin, AI für meine Kreativität nutzbar zu machen.”
Die Schwierigkeit hier liegt darin, dass Kreativität ein so schwierig zu fassendes Phänomen darstellt. Ich persönlich bin weniger daran interessiert, anhand von KI Kreativität zu verstehen. Mein Interesse liegt vielmehr darin, KI für meine Kreativität nutzbar zu machen.
LANDR: WIE KÖNNTE DEINER MEINUNG NACH KI DAZU GENUTZT WERDEN, UM DIE WELT DER MUSIK-INTERFACES BESSER ZU ERSCHLIEßEN?
LANDR: Du hast in einem Interview einmal erwähnt, wie frustrierend du es findest, dass es so wenig Einfallsreichtum auf dem Gebiet des Designs von Synthesizer-Interfaces gibt. Bis heute nutzen wir hauptsächlich verschiedene Arten von Tastaturen, wenn wir mit komplexen Maschinen wie Synthesizern interagieren.
ERM: Dieses Problem habe ich eingehend in meinem 2006 erschienenen Buch ‘New Digital Musical Instruments: Control and Interaction beyond the Keyboard’ (Neue digitale Musikinstrumente: Kontrolle und Interaktion jenseits der Tastatur) diskutiert.
Seitdem hat sich ein bisschen was getan: Eine stetig wachsende Community von AnwenderInnen entwickelt mittlerweile neue musikalische Interfaces. In den letzten Jahren wurden zahlreiche MusikerInnen-freundliche Programmierungstools (Max, Pure Data, Python, etc.) und DIY-Elektronikbausätze (Arduino, Raspberry Pi, etc.) entwickelt, die MusikerInnen breiteren Zugang zu Technologien verschafft haben, mit der sie ihre eigenen Controller bauen können. Sehr aufregend, das Ganze.
Die meisten dieser Controller schaffen es jedoch nicht, das Gefühl eines echten Akustik-Instruments nachzubilden. Wenn man beispielsweise Geige spielt, dann fühlt man die Schwingungen der Saiten und das Instrument in seinen Händen und an seinem Körper.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese AnwenderInnen KI beherrschen. Dann werden sie dazu fähig sein, aktive musikalische Controller zu entwickeln.
Dabei denke ich nicht nur an musikalische Controller mit einer erweiterten und verbesserten Haptik, sondern auch an intelligente Musikinstrumente, die die Fähigkeit besitzen, Reaktionen zu produzieren, zu improvisieren und so weiter und so fort. Wie beispielsweise der Voyager von George E. Lewis.
LANDR: WIE KANN KI DAZU BEITRAGEN, DASS LEUTE IHRER MUSIKALISCHEN KREATIVITÄT BESSER AUSDRUCK VERLEIHEN KÖNNEN?
LANDR: Du arbeitest jetzt schon seit längerem an einem Brain-Computer-Interface, dass es Menschen mit neuronalen Behinderungen ermöglicht, Musik zu machen. Wie kann deiner Meinung nach KI dazu beitragen, dass Menschen – insbesondere jene, die mit einer Behinderung leben – ihrer musikalische Kreativität besser Ausdruck verleihen können?
ERM: Mittlerweile verfügen wir über relativ robuste Technologie, anhand deren wir die elektrische Aktivität des Gehirns scannen können. Diese Aktivität wird als Elektroenzephalogramm, oder EEG, bezeichnet. Der Heilige Gral der Brain-Computer-Interface-Technologie besteht darin, effektive Methoden zu entwickeln, mit denen man Menschen antrainieren kann, willkürlich spezifische Muster elektrischer Aktivität zu produzieren, die dann später im EEG festgestellt werden können.
Die Technologie, die wir in meinem Labor entwickelt haben, ermöglicht es Leuten, mit ihrem EEG musikalische Algorithmen du kontrollieren. Diese Kontrolle ist jedoch nach wie vor recht begrenzt und funktioniert nur für einfache Sachen, wie z. B. dem Umstellen von ein paar Schaltern, um Melodien zu spielen, oder das Bewegen von Fadern, um Tempo oder Lautstärke zu erhöhen.
Eine solche Kontrolle beinhaltet in keiner Weise musikalisches Denken, sondern das Verlangen, einen Schalter umzulegen und einen Fader zu bewegen, die im Grunde auch alles Andere kontrollieren könnten als Musik.
In meiner derzeitigen Forschung beschäftige ich mich damit, wie ich dieses Szenario verbessern kann. Mein Ziel besteht letzten Endes darin, musikalisches Denken in der EEG zu erkennen und dann zum Generieren von Musik nutzen. Da tappen wir zwar noch im Dunkeln, aber ich davon überzeugt, dass das in Zukunft möglich sein wird.
LANDR: WELCHES DER PROJEKTE, AN DENEN DU GERADE ARBEITEST, IST DEIN FAVORIT?
ERM: Zusätzlich zu dem bereits erwähnten Projekt arbeite ich im Moment daran, neue Arten von Musik-Computern zu entwickeln. Die Informatik hat in den letzten 80 Jahren eine entscheidende Rolle im Entwicklungsprozess der Musikbranche gespielt. Es ist höchstwahrscheinlich, dass zukünftige technologische Entwicklungen weiterhin Einfluss auf die Musik haben werden.
Ich unterstütze Forschungen zum Thema Bioinformatik und Musik. Mein Team und ich haben in einer Machbarkeitsstudie bereits einen interaktiven Biocomputer entwickelt, der mit lebendigen, organischen Komponenten operiert, die auf einer Platine kultiviert wurden.
Mit diesem System habe ich bereits zwei Stücke komponiert, Biocomputer Music und Biocomputer Rhythms, die beide auch schon mehrmals live gespielt wurden. (Oben kannst du dir eine kurze Dokumentation darüber anschauen).
***
Eduardo R. Miranda denkt gar nicht an’s Aufhören. Vor kurzem hat er ein E-Book mit dem Titel Mind Pieces: The Inside Story of a Computer-Aided Symphonyveröffentlicht. Darin gibt er einen Einblick in seine Ideen bezüglich der Frage, wie man Technologie und intuitive musikalische Kreativität miteinander verbinden kann. Weitere Informationen über seine Arbeit findest du hier.