Momente der Musikgeschichte: 10 MeisterInnen der Synthesizer und die Geräte, an die sie ihr Herz verloren
Wusstest du, dass Acid House und Bollywood-Kino etwas gemeinsam haben?
Dieser Artikel wurde durch den Kommentar einer unserer LeserInnen inspiriert – Dee hat vorgeschlagen, dass ich mir mal Charanjit Singh näher anschaue, da er einen TB-303 verwendet hat, noch bevor Acid House überhaupt erfunden wurde.
Ich hatte zuvor noch nie von Singh gehört und die Entdeckung ist absolut genial.
Zur gleichen Zeit war ich gerade auf der Suche nach einem MIDI-Controller, das Ganze zusammen hat mich nachdenklich gestimmt…
Wie finden Equipment und MusikerInnen zusammen? Und welche Beziehung entwickeln MusikerInnen zu ihren Instrumenten?
Hier die Geschichte von 10 MeisterInnen der Synthesizer (einschließlich dem Vorschlag von Dee!) und den Geräten, die ihren Sound bestimmten.
1. Wendy Carlos – Moog modular
Mit ihren mittlerweile 76 Jahren ist Wendy Carlos eine Pionierin, der ProduzentInnen elektronischer Musik viel verdanken. Carlos studierte am Columbia-Princeton Electronic Music Center, einem der ersten Zentren für elektronische Musik in den USA. Nach ihrem Abschluss lernte sie Robert ‘Bob’ Moog kennen und half ihm dabei, seine frühen Synthesizer zu veredeln. Der modulare Moog Synthesizer wurde zum Instrument ihrer Wahl.
“Ich bekam den Moog und arbeitete mit Bob an einem Prototypen eines anschlagdynamischen Keyboards. Ist es zu fassen, dass Standard-Keyboards bis Ende der 70er nicht anschlagdynamisch waren!? Endlich hatte ich ein Keyboard, das die Noten zum Leben erweckte.” – Wendy Carlos
Mit ihrem wegweisenden Album Switched on Bach (1968) rückte sie Synthesizer ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Zu einem Zeitpunkt, da Synthesizer den meisten Leuten noch kein wirklicher Begriff waren, nahm Carlos die berühmten Brandenburg Concertos von Bach in diesem neuen synthetisierten Sound auf.
“Es ging dabei nicht um eine Wiederbelebung Bachs, sondern das war einfach wunderbare Musik, die sich hervorragend für diese Phase der Entwicklung von Bob Moogs Synthesizern eignete.” – Wendy Carlos
Switched on Bach war das erste Album, das es einem größeren Publikum ermöglichte, sich ein Bild von diesem neuen Gerät zu machen – dem Synthesizer. Es ebnete den Weg für spätere Experimente jenseits der klassischen Musik.
2. Eliane Radigue – ARP 2500
Eliane Radigue ist eine elektroakustische Komponistin aus Frankreich und studierte in den 1950er Jahren bei den renommierten Musique Concrète Komponisten Pierre Schaeffer und Pierre Henry. Während eines Aufenthalts in New York City in den 60er Jahren machte sie die Bekanntschaft vieler KünstlerInnen der damaligen Avant-Garde, darunter John Cage, Philip Glass und Steve Reich. Ihr eigener Stil entfernte sich bald von der Concrète-Tradition hin zu Experimenten mit Bandschlingen, Mikrofon-Feedback und sich langsam aufbauenden Modulationen.
“Radigues Sound ist geprägt durch Klänge, die wie Zellen eines Organismusses miteinander interagieren und sich in einem Glissando extrem langsam und subtil entwickeln.” – Julien Bécourt
In den 70ern kehrte sie nach New York zurück, wo sie sich ein Studio mit Laurie Spiegel teilte. Dort begann sie, mit diversen Synthesizern zu experimentieren, darunter der Buchla und der EML Electro comp. Der Volltreffer war für sie jedoch der ARP 2500…
“… der ARP bot eine momentane Ablesung, da ich die Oszillatoren alle direkt vor meiner Nase hatte. Nur die Schalter hatten den Makel, dass sie rauschten. Für mich jedoch war es genau das, was seine Fülle und Raffinesse ausmachte. Der Moog und der Buchla sind tolle Instrumente, ihr Klang ist im Gegensatz zu dem des ARP allerdings extrem klar und metallisch.” – Éliane Radigue
Radigue entdeckte schließlich den tibetischen Buddhismus und machte ihn zu ihrer Lebensphilosophie. Er wurde zu einem Leitprinzip ihrer Arbeit, wie beispielsweise in ihrem wohl bekanntesten Werk Trilogie de la Mort (1988-1993)Ihre letzte elektronische Arbeit war L’île Re-sonante (2000) , seitdem arbeitet sie überwiegend mit Akustikinstrumenten.
3. Klaus Schulze – EMS Synthi A
Schulze fing in den 1970er Jahren an, mit Synthesizern zu arbeiten. Er war eines der Gründungsmitglieder von Tangerine Dream sowie der Band Ash Ra Tempel, die kosmischen Rock machte. Es war jedoch seine Solo-Karriere, die seine elektronischen Experimente hervorbrachte. Unter seinem eigenen Namen veröffentlichte er über 40 Studioalben. Der EMS Synthi A war sein erster und bevorzugter Synthesizer.
“Für mich ist [der EMS Synthi A] ein Stimmungserzeuger, kein anderer Synthesizer der Welt kann das.”
– Klaus Schulze
Bald fügte er seinem Werkzeugkasten ein Big Moog System mit Sequenzer hinzu. Die auf seiner Webseite aufgeführte Liste seines Equipments ist überwältigend… Heute hat Klaus Schulze ein kleines Studio im Nord-Westen Deutschlands, wo er mit seiner Frau zusammen lebt. Über die Jahre hinweg hat er sich immer wieder von gewissem Equipment getrennt. Der EMS Synthi A ist jedoch immer Teil seiner Sammlung geblieben.
“… der Big Moog ist nicht mehr dabei, den hat Klaus verkauft, weil er ihn nicht mehr benutzt hat. Viele finden das ziemlich schade, da dieses Instrument so charakteristisch war für seine Musik… Für Klaus war er jedoch nichts weiter als ein Instrument, ein nützliches Werkzeug.” – Mr. Modular
Heutzutage nutzt Schulze hauptsächlich VSTs und eine DAW, um Musik zu machen. (Wie du siehst, sind sogar die Synthesizer-Gurus keine Analog-Puristen!)
4. Suzanne Ciani – Buchla
Suzanne Cianis Portfolio ist mehr als beeindruckend. Die Soundeffekte für die 1980 erschienene Xenon Pinball-Maschine. Die Geräusche in Coca-Cola-Werbespots und sogar die Pieptöne der ersten musikalischen Spülmaschine von General Electric… alles von Suzanne kreierte Sounds. Fans des Yamaha DX7 freuen sich bestimmt zu erfahren, dass sie das Preset “East Meets West” programmiert hat. Das Instrument ihres Vertrauens, sowohl fur die Komposition als auch das Sounddesign, war von Anfang an ihr Buchla Synthesizer. Cianis Herangehensweise an ihr Instrument besteht darin, nach seinen Regeln zu spielen.
“Du solltest dich dem [Buchla] nicht mit einer vorgefertigten Idee dessen nähern, was du du machen willst—du solltest zusammen mit dem Gerät eine gemeinsame Sprache erarbeiten.”
– Suzanne Ciani
Im Gegensatz zu den Synthesizern von Moog besaßen die modularen Synthesizer von Don Buchla kein Hauptinterface in Form eines Keyboards, sondern bestanden hauptsächlich aus Reglern und Kabeln.
“Ich wollte für den Buchla eine Technik entwickeln, die jener des Geigespielens ähnelt… Don Buchla sah es als ein Instrument für die Performance und ich glaubte ihm. Also wollte ich es ‘performen’.” – Suzanne Ciani
Ciani legte eine kurze Buchla-Pause ein und wendete sich wieder dem Klavier zu. Der Umstand, dass ihre vorherigen Arbeiten (wie beispielsweise das Album Buchla Concerts 1975 ) jedoch vor kurzem erneut veröffentlicht wurde, hat ihre Liebe für das Elektronische jedoch wieder aufleben lassen. Suzanne Ciani auf dem Moogfest 2016:
5. Michael Stearns – Serge Synthesizer
Er hat den Soundtrack für Max Frickes beeindruckende IMAX-Filme Chronos, Baraka und Samsara komponiert. Seine Herangehensweise an die Musik orientiert sich an einer gewissen New Age Spiritualität:
“Für uns als Individuen, Kulturen und Spezies ist Musik Trägerin von ‘Geschichten’, die wir uns erzählen. Anhand dieser ‘Geschichten’ reproduzieren wir kontinuierlich unser Leben sowie die unbewussten Muster, die über Generationen hinweg weitergereicht wurden.”
– Michael Stearns
Kevin Braheny – ein Freund von Stearne – war Teil des ersten Design-Teams für den modularen Serge Synthesizer. Der Erfinder des Synthesizers, Serge Tcherepnin , wollte einen Synthesizer kreieren, der den modularen Buchla Synthesizern glich, jedoch weit weniger exklusiv und teuer war. Nachdem Braheny Stearns den Serge Synthesizer in den 1970ern vorgestellt hatte, fing er schon bald damit an, mit ihm zu arbeiten.
Stearns nahm anschließend sein Ambient-Album Morning Jewel (1979) mit dem Serge auf , bevor er seinen eigenen Synthesizer baute.
5. Laurie Spiegel – Buchla, Music Mouse
Laurie Spiegel verlor ihr Herz an analoge Synthesizer in den späten 60ern.
“Ich habe [dem Komponisten] Michael [Czajkowski] Stücke gezeigt, die ich geschrieben hatte, und er sagte: ‘Ich habe da was, was ziemlich interessant für dich sein könnte.’ Dann hat er mich mit zu Martin Subotnicks Studio genommen und mir den Buchla Synthesizer gezeigt.” – Laurie Spiegel
In den 1970er Jahren arbeitete sie in den Bell Labs, wo sie eine interaktive Musikkompositionssoftware für Computer entwickelte. Sie und ihr Kollege Max Matthews werden als PionierInnen der Computermusik angesehen. In den Bell Labs hatte Spiegel zudem Zugang zu experimentellen Geräten wie dem Alles Synthesizer – der ersten Maschine für additive Synthese. Hier kannst du dir anschauen, wie meisterhaft Spiegel das Spiel auf dem Alles beherrscht:
1985 entwickelte sie ihre wohl bekannteste Software namens Music Mouse, die ein frühes Beispiel eines computerbasierten Instruments darstellt. Spiegel sah den Computer als eine neue Art des Volksinstruments – eine visionäre Idee, die sich als akkurate Vorhersage dessen herausstellte, wie Computer heutzutage im Heimstudio eingesetzt werden. Durch eine Neuauflage ihres 1980 erschienenen und mit dem GROOVE System produzierten Albums The Expanding Universe, erhielt ihre Arbeit in den letzten Jahren erneut große Aufmerksamkeit.
6. Charanjit Singh – TB-303
Singh ist ein indischer Komponist und Studiomusiker, der während der 1970er und 80er Jahre an zahlreichen Bollywood-Soundtracks mitarbeitete. Ihm wird zugeschrieben, 1982 mit seinem Album Synthesizing: Ten Ragas to a Disco Beat ‘aus Versehen’ Acid House erfunden zu haben. Auf dem Album mischte Singh klassischen indischen Raga mit elektronischer Disko-Musik. Es war ein kommerzieller Flop, als es damals in Indien erschien, wurde jedoch zum Hit, als es 2010 neu aufgelegt wurde. Singh nutze für die Produktion drei Roland-Geräte: einen Jupiter-8 Synthesizer, einen TR-808 und einen TB-303. Der 303 war nur ein Jahr vor Ten Ragas erschienen. Sing kaufte ihn in Singapur und begann, zu Hause mit ihm herumzuspielen. Er dachte sich ‘Klingt gut, warum also nicht aufnehmen, das Ganze?’. Die rauchige Bassline wurde später zum Markenzeichen des Acid House – Singh ließ diese jedoch ertönen, bevor Acid House überhaupt zum Genre geworden war.
“Obwohl der TB-303 ursprünglich dafür gedacht war, eine Bass-Gitarre zu ersetzen, eignete er sich nicht 100%ig dazu, konventionelle Basslines zu reproduzieren, also fand [Singh] einen Weg, die Maschine auf andere Weise zu nutzen, insbesondere ihre Glissando-Funktion, mit der man gut Melodien des indischen Raga reproduzieren konnte.” – The Wire
8. Vangelis – Yamaha CS80
Der in Griechenland geborene Komponist Vangelis gelangte durch seinen Soundtrack für Chariots of Fire (Die Stunde des Siegers, 1981) und Blade Runner (1982) zu Berühmtheit. In den 1960ern und 70ern spielte Vangelis in mehreren Bands, unter anderem als Keyboarder in Aphrodite’s Child:
Der Stil, den Vangelis entwickelte, wurde als “symphonische Elektronika” beschrieben. Melodisch und simpel, jedoch mit einprägsamen Verläufen und Folk-Elementen. Die Beziehung zwischen Vangelis und seinem ikonischen Yamaha CS80 ist ziemlich interessant:
“[Der CS80 ist] der für meine Karriere bedeutsamste Synthesizer — und meiner Meinung nach der am besten designte analoge Synthesizer aller Zeiten… Er ist der einzige Synthesizer, den ich als echtes Instrument bezeichnen würde, hauptsächlich aufgrund seines Keyboards, wie es gebaut ist und was du alles damit machen kannst.” – Vangelis
Der CS80 von Yamaha wird stets als der erste große Synthesizer aus Japan angepriesen. Er ist ein sehr ausdrucksstarker polyphoner Synthesizer mit Tasten, die fast wie die eines Klaviers gewichtet sind und über polyphonen Aftertouch verfügen. Vangelis kreierte eine sehr distinkte, persönliche Art, den Yamaha CS80 zu spielen:
9. Doris Norton – Roland System 700, Roland System 100M, Minimoog
Doris Norton wurde in Italien geboren und ist eine wahre, wenn auch weniger bekannte, Heldin der elektronischen Musik. Neben ihrer Tätigkeit als großartige Musikerin war sie zudem freischaffende Journalistin, Drehbuchautorin sowie später Musikberaterin für IBM. Die Rhythmen, die Norton in den frühen 80ern anhand von Sequenzern und Drum Machines kreierte, waren bahnbrechend. Sie machte Techno, bevor es Techno überhaupt gab…
“Ich habe Musik nie wirklich als Karriere angesehen, sondern als Reise. Synthesizer, AD-Wandler, Sequenzer, später Computer und generell alle Elektronik haben meine Reise als Solistin beeinflusst.” – Doris Norton
Ihre Favoriten unter den Synthesizern waren zwei modulare Modelle aus dem Hause Roland, der System 700 und der System 100M, sowie der Minimoog. Sie war zudem eine früher Verfechterin des Computers als elektronisches Musikinstrument.
“Schon Ende der Sechziger nahm ich Computer als ‘persönlich’ wahr.”
– Doris Norton
Nortons frühe Veröffentlichungen Under Ground (1980) und Personal Computer (1984) zählten zu den ersten Musikprojekten, die von Apple gesponsert wurden – was durch das Logo auf dem Albumcover unschwer zu erraten ist.
10. Kaitlyn Aurelia Smith – Buchla 100
Smith wurde 1987 geboren und begann ihre Karriere mit einem Studium der Komposition und Tontechnik am Berklee College of Music. Sie gründete eine Folkband mit dem Namen Ever Isles. Als ihr ein Nachbar jedoch ein Buchla 100 System lieh, verabschiedete sie sich von der Folkmusik und ging zum Elektro über.
Die vielfältigen und unvorhersehbaren Klänge der Buchla passten zu Smiths Vorliebe für natürliche und organische Klänge.
“Zu jener Zeit waren es hauptsächlich [Bob] Moog und Buchla, wobei Moog eher darauf aus war, einen Synthesizer zu kreieren, den man sich leicht vom Klavier her erschließen konnte. Bei Don war das Gegenteil der Fall. Er unternahm den Versuch, etwas zu erschaffen, das einem dabei helfen würde, jenen Teil des Gehirns zu erreichen, der abgetrennt ist von dem, was durch das Keyboard gewohnt ist.” – Kaitlyn Aurelia Smith
In der Zwischenzeit hat Smith mehrere Alben veröffentlicht, darunter EARS (2016), auf dem der Buchla sowie Vocals zu hören sind. Zusammen mit Suzanne Ciani arbeitete Kaitlyn Aurelia Smith an einem Projekt, das den Buchla in den Mittelpunkt rückte und den Titel Sungery trug. Das Projekt kam am heraus – nur wenige Tage vor dem Tod Don Buchlas.
DIE LIEBE ZUR MASCHINE BRAUCHT IHRE ZEIT
Welcher gemeinsame Nenner verbindet diese KünstlerInnen?
Sie alle verbrachten unzählige Stunden mit den Geräten, an die sie ihr Herz verloren. Suzanne Ciani formulierte es folgendermaßen: “Es ist eine Frage der Zeit; je mehr Zeit du mit deinem Instrument verbringst, desto tiefer kannst du gehen.”
Außerdem umgaben sie sich mit MentorInnen oder Communitys gleichgesinnter KünstlerInnen. Talent und Neugierde bedürfen eines fruchtbaren Bodens, auf dem sie gedeihen können.
Am Anfang der Entfaltung als MusikproduzentIn steht das Finden des für dich richtigen Tools.
Mache die Möglichkeiten, Grenzen und Makel des von dir gewählten Musikinstruments zu deinem Markenzeichen – egal, ob es sich dabei um einen ausgeklügelten Moog oder einen Computer handelt.