Von den Platten zur Datei: Die ungewöhnliche Geschichte der Musikformate
Wie wir von physischen Formaten zum Streaming gekommen sind.
Physische Formate gibt es zwar erst seit den 1870er Jahren, doch in dieser relativ kurzen Zeitspanne haben wir uns ein paar ziemlich bizarre Arten einfallen lassen, wie Musik veröffentlichen kann.
Jedes Format auf dieser Liste war zu einem bestimmten Zeitpunkt nützlich und trotzdem kann man sich im Rückblick fragen: “Was haben wir uns da bloß gedacht?”
Es ist egal, wie überflüssig manche der Formate mittlerweile sind, denn sie haben uns alle dahin gebracht, wo wir heute sind: zum Streaming.
Die meisten Musikfans ziehen es vor, ihre Musik digital zu kaufen, entweder per Download oder Streaming.
Clevere MusikerInnen ziehen nach – viele überspringen die Kosten physischer Formate komplett und entscheiden sich für den digitalen Musikvertrieb, der besser in die heutige Musiklandschaft passt.
Wie also sind wir hier gelandet?
Ungeachtet seines jeweiligen aktuellen Beliebtheitsgrades hat jedes hier genannte Format seinen Beitrag auf dem Weg zur Vormachtstellung der digitalen Formate geleistet.
Wir haben uns durch die außergewöhnliche Geschichte der Musikformate gearbeitet, um zu erkunden, wohin uns die Reise bisher geführt hat – und wohin sie uns vielleicht noch führen wird…
Hier kommt die Zeitleiste der Musikformate, von Vinyl zu digital und allem, was dazwischen kam:
1948: Die Schallplatte
Schallplatten unterschiedlicher Abspielgeschwindigkeiten und Materialien gibt es bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert – die frühen Modelle drehten sich mit einer Geschwindigkeit von 78 Umdrehungen pro Minute und wurden aus Schellack hergestellt, weshalb sie recht laut (nicht die gute Art von laut) und zerbrechlich waren.
1948 produzierte Columbia Records eine ‘Long Play’-Schallplatte mit 30cm Umfang und 33 Umdrehungen pro Minute – das Format, das wir heute als LP kennen, lieben und dem Second-Hand-Laden spenden.
Die erste LP, die jemals gepresst wurde, war die Columbia ML4001. Darauf befand sich das “Mendelssohn Violin Concerto in e-Moll”, gespielt vom Violinisten Milstein zusammen mit dem New York Philharmonic Symphony Orchestra, das von Bruno Walter dirigiert wurde.
Kurz darauf entwickelte RCA Records eine Schallplatte mit 17,5cm Umfang und 45 Umdrehungen pro Minute, die als ‘extended play single’ (kurz: EP) bezeichnet wurde.
Durch die Empfindlichkeit des Schellack, das während des Transports regelmäßig zu Bruch ging, stellten bald sowohl Columbia als auch RCA Records ihre LPs und EPs aus Vinyl her.
Durch die Empfindlichkeit des Schellack, das während des Transports regelmäßig zu Bruch ging, stellten bald sowohl Columbia als auch RCA Records ihre LPs und EPs aus Vinyl her.
Allerdings hatte Vinyl massive Nachteile in Hinblick auf die Größe der Platten und deren Tragbarkeit. Die Musikindustrie machte sich auf die Suche nach einer Lösung für dieses Problem und entwickelte schlussendlich neue Formate, die Leute ohne Probleme mit auf die Arbeit, zu Partys etc. bringen konnten.
All der seit der Vinyl-Schallplatte entwickelten physischen Formate zum Trotz gibt es nach wie vor einen großen Markt für die Schallplatte: Laut einem Discogs-Bericht war Vinyl das physische Musikformat, das 2017 am meisten verkauft wurde, mit einem Anstieg von 13,92% im Vergleich zum Vorjahr.
Auch wenn Vinyl über die Jahre hinweg populär geblieben ist, so wurden Platten dennoch für eine Weile Zeit verdrängt, als ZuhörerInnen der nächsten Innovation entgegenfieberten.
1963: Die Kassette
Die Kassette wurde von Philips erfunden und auf der Internationalen Funkausstellung Berlin – der ältesten Technologie-Messe mit ihrer ganz eigenen Geschichte – zum ersten Mal der Welt vorgestellt.
Die frühen Kassetten verfügten über eine Spielzeit von maximal 45 Minuten pro Seite, was um einiges länger war als die Spielzeit einer Vinyl-EP.
Außerdem passten sie ihn günstigere und kompaktere Gehäuse. Die Kompaktheit der Kassette inspirierte tragbare Abspielgeräte, was einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu unseren heutigen Hörgewohnheiten darstellt.
Die Kassette passte perfekt in die Nachkriegszeit. Durch den Bevölkerungsboom und die fortschreitende Entwicklung von Vorstädten gab es plötzlich viel mehr Autos, sodass mobile Wiedergabesysteme heiß begehrt waren.
Die Erfindung der Kassette brachte außerdem ein weiteres brisantes Phänomen mit sich: die Musikpiraterie.
Die Einführung von Kassetten und Kassettenrekordern führte dazu, dass Plattenfirmen der Musikindustrie eine grimme Zukunft vorhersagten. Nach einem fehlgeschlagenen Versuch, Kassetten-Rohlinge zu verbieten, wurde 1989 das ein Gesetz eingeführt, das die Anzahl an Kassetten, die KonsumentInnen kaufen konnten, einschränkte, um sie somit davon abzuhalten, Kopien und Kopien von Kopien zu machen.
Des Weiteren zeitigten Kassetten auch die Kultur des Mixtapes – ein Konzept, das in der Musikindustrie nach wie vor Bestand hat.
Dies half jedoch den Plattenfirmen wenig, die der Meinung waren, auf Kassetten sollte eine Steuer gezahlt werden. 1991 wurde der Audio Home Recording Act eingeführt, der Steuern von den Medien sowie von Plattenherstellern einsammelte und zurück an die Plattenfirmen verteilte.
Doch es gab nicht nur Aktenmappen, Prozesse und Kassetten-Steuern… Kassetten zeitigten auch die Mixtape-Kultur, mit der amateurhafte Compilation-Ersteller die Möglichkeit bekamen, Tonmaterial aus verschiedenen Quellen aufzunehmen und auf einer Playlist zusammenzustellen – ein Konzept, das die Musikindustrie, wie wir sie heute kennen, bestimmt.
Heutzutage sind Kassetten definitiv nicht mehr das Format der Wahl, um sich Musik anzuhören, doch die Kassetten-Branche ist nach wie vor lebendig – 2017 sind Kassetten-Verkaufe im Vergleich zum Vorjahr um 35% angestiegen, 2016 sogar um 74%.
1964: Die 8-Spur-Kassette
Die 8-Spur-Kassette wurde von dem eher überraschenden Trio aus RCA Records, Lear Jet Corporation und Ampex Magnetic Tape Company erfunden. Diese Konstellation mag einem eher seltsam erscheinen, doch Bill Lear von Lear Jet Corporation war zusammen mit seinem Angestellten Richard Kraus verantwortlich für das Design der Kassetten von 8-Spur-Bändern.
Lear, der eigentlich private Luxusjets herstellte, hegte ein Interesse für die Audioindustrie und hatte in den 1940er Jahren bereits den Versuch gestartet, einen ‘Wire Recorder’ für unendliche Loops zu entwickeln.
Der Vorteil der 8-Spur-Kassette gegenüber der Kompakt-Kassette bestand darin, dass sie 8 parallele Tonspuren mit vier korrespondierenden Stereoprogrammen unterbringen konnte.
Der große Erfolg der 8-Spur-Kassette ist der zu jener Zeit boomenden Autobranche zu verdanken. Ab 1966 bot Ford Motors 8-Spur-Spieler in seiner gesamten Reihe von Automobilen an.
Im Folgenden Jahr wurden 8-Spur-Kassettenspieler für den Hausgebrauch auf den Markt gebracht und viele sahen ihn als die Lösung für das Problem an, dass Platten und Plattenspieler nicht wirklich tragbar waren.
Obwohl die 8-Spur-Kassette sich in den 60er und 70er Jahren großer Beliebtheit erfreute, überholte die Kompaktkassette sie bald als die beliebtere Wahl für MusikerInnen und KonsumentInnen aufgrund ihrer praktischeren Größe und ihres kleineren Preispunkts.
Obwohl die 8-Spur-Kassette sich in den 60er und 70er Jahren großer Beliebtheit erfreute, überholte die Kompaktkassette sie bald als die beliebtere Wahl für MusikerInnen und KonsumentInnen aufgrund ihrer praktischeren Größe und ihres kleineren Preispunkts. Im Zuge dessen wurde die 8-Spur-Kassette schnell obsolet und ist es bis heute geblieben.
Manche behaupten, dass die letzte 8-Spur-Kassette, die jemals von einem führenden Label veröffentlicht wurde, Fleetwood Mac’s Greatest Hits war (1988 von Warner Records) – vielleicht ein Anzeichen dafür, dass wir nie wieder zur 8-Spur-Kassette zurückkehren werden?
1972: Die Diskette
Normalerweise werden Disketten eher mit der Datenspeicherung für Desktop-Computer in Verbindung gebracht, doch in den 80ern und 90ern veröffentlichten ein paar wenige MusikerInnen Alben in diesem eher unkonventionellen Format.
IBM entwickelte 1972 die 8”-Diskette für die Tech-Welt, 1976 die 5,25”-Diskette und schlussendlich 1982 die Diskette im handlichen 3,5″-Format.
Die Veröffentlichungen auf Diskette blieben eine absolute Nische und wurden niemals wirklich Teil des Mainstreams. Der bis heute wohl bekannteste Disketten-Release war Brian Enos Album Generative Music I von 1996, der über Opal Music veröffentlicht wurde.
Es gab außerdem eine Handvoll großer Releases auf Diskette, die versuchten, Alben einen multimedialen Anstrich zu verpassen, doch das Format setzte sich nie durch.
Trotz der kurzen Lebensdauer der Diskette in der Musikwelt war sie dennoch eine wichtige Vorbotin der digitalen Zukunft der Musik –ein Trend, der sich bald durch den massiven Erfolg der CD fortsetzen würde…
1982: Die Compact Disc (CD)
Die Diskette war eine wichtige Vorbotin der digitalen Zukunft der Musik.
1974 hatte Philips (ja, wie auch schon bei der Kassette), die Idee, Schallplatten und Kassetten mit der CD zu ersetzen.
Zur selben Zeit arbeitete auch Sony an einem Prototypen für die CD (der Krieg der CDs!). Sonys Version wurde 1976 zum ersten Mal vorgestellt.
Letzten Endes fanden die zwei Unternehmen zusammen und die CD wurde 1982 offiziell als funktionsfähiges Format auf den Markt gebracht. Sony entwickelte im selben Jahr zudem den ersten CD-Spieler den CDP-101 Compact Disc Player, der stolze 1000$ kostete!
Zusammen mit der CD erschienen auch tragbare CD-Spieler, CD-ROM-Drives, CD-Rohlinge und der 16-bit/44,1kHz Standard für Audioformate– allesamt Erscheinungen, die sich massiv darauf auswirkten, wie wir uns Musik anhören.
Die CD verband zudem die guten Eigenschaften aller Formate, die ihr vorangingen: Sie lieferte qualitativ hochwertigen Ton und war kompakt, tragbar, beschreibbar und günstig.
Alles stellte die CD eine für die Musikindustrie extrem wichtige Entwicklung dar und war für viele Jahrzehnte das Standardformat für Veröffentlichungen.
Ein Bedürfnis, das die CD und der Discman nicht auf ewig befriedigen konnten.
Als der Zugriff auf Musik über den Computer sowie den MP3-Player möglich wurde, wollten die meisten Leute keine physischen Kopien mehr, da sie alles ganz einfach in einem Ordner auf ihrem Desktop unterbringen konnten.
Selbstverständlich verschwanden CDs nicht einfach so über Nacht. Es gibt nach wie vor CD-Vernarrte in dieser Welt. Auch wenn der Discogs-Bericht von 2017 Vinyl als das am stärksten wachsende physische Format nennt, so haben auch CDs im ersten Halbjahr von 2017 einen Aufschwung von 23,23% auf dem Second-Hand-Markt erlebt.
1992: Die MP3
Die MP3 wurde ursprünglich in den frühen 80ern vom Forscher Karlheinz Brandenburg entwickelt. Während seiner Zeit als Post-Doc in den AT&T Bell Labs widmete er sich bestehenden Codecs für die Komprimierung von Tonmaterial. Witzigerweise wählte Brandenburg Suzanne Vegas Hit “Tom’s Diner” von 1987 als Test-Song, um die MP3 zu perfektionieren.
Doch erst 1992 wurde die MP3 zum Mainstream und erst 1999, zusammen mit der Erschaffung von Napster, wurde das Format zum absoluten Superstar.
Die Musikindustrie hat erst vor kurzem damit begonnen, sich von dem Anbruch ihrer digitalen Phase zu erholen…
Napster machte das Peer-to-Peer-Sharing von MP3-Audiodateien möglich, was weit verbreiteten Urheberrechtsverletzungen und verständliche Empörung von Seiten der Musikindustrie mit sich brachte.
Obwohl es in seiner ursprünglichen Form nur für kurze 3 Jahre Bestand hatte, ebnete Napster schlussendlich den Weg für Plattformen wie den iTunes-Store, auf denen NutzerInnen Musik suchen, kaufen und sofort abspielen können, alles in nur wenigen Klicks.
Die Nachwirkungen der Schockwelle, die die MP3, die Musikpiraterie und komplett digitale Formate ausgelöst haben, sind noch heute spürbar. In vielerlei Hinsicht fängt die Musikindustrie gerade erst damit an, sich vom Anbruch ihrer digitalen Phase zu erholen…
2002: Streaming
Mit zunehmendem allseits verfügbarem Internetzugang aufgrund von Mobilgeräten sahen Entwickler und Unternehmer eine gigantische Chance: die Möglichkeit, sich Musik anzuhören und zu entdecken, ohne die Dateien herunterladen oder Songs kaufen zu müssen.
Zusätzlich waren Streaming-Plattformen (hoffentlich) darauf aus, aus der digitalen Musik ein nachhaltiges Geschäftsmodell für alle Beteiligten zu machen. In vielerlei Hinsicht ist das gelungen, doch es steht noch viel Arbeit an.
Die Veröffentlichung des iPhones 2007 war letzten Endes der Auslöser für den Durchbruch des Streamings und der Internetradios. Apps, die es vorher nur für den Desktop gab, waren plötzlich auch unterwegs verfügbar.
Im darauffolgenden Jahr erblickte Spotify, das sich durch Werbung finanziert, das Licht der Welt. NutzerInnen haben zwei Optionen: Sie können die kostenlose Version mit Werbeanzeigen nutzen, oder eine monatliche Gebühr für werbefreies Streaming zahlen.
Streaming-Apps befriedigten den ständig wachsenden Bedarf am nicht-physischen Zugang zu Musik und läuteten unser derzeitiges Kapitel der Audioformate ein: die dematerialisierte Musik.
Die hiesige Liste beweist, dass nichts für ewig währt, insbesondere in der Musikindustrie.
Egal, wie wir einem jeden Audioformat gegenüberstehen – jedes einzelne hat seinen Beitrag auf dem Weg hin zum Streaming geleistet. Auch wenn das Streaming andere Formate nicht unbedingt obsolet gemacht hat, so besteht dennoch kein Zweifel, dass es so sehr wie kein anderes Format unsere Hörgewohnheiten beeinflusst.
Was nun?
Die hiesige Liste beweist, dass nichts für ewig währt, insbesondere in der Musikindustrie.
Was steht also als nächstes an? Vielleicht hören wir uns alle bald Musik in unseren selbstfahrenden Autos an? Oder gibt es vielleicht bald eine Renaissance des Videoformats für die Musik (ich denke da insbesondere an Hype)?
Egal was die Zukunft bringt, das Format, das letzten Endes am wichtigsten ist, ist das, in dem deine LieblingsmusikerInnen veröffentlichen.
Als Fan solltest du die MusikerInnen, die du liebst, und ihre Musik in Form jener Formate, in denen sie ihre Musik vertreiben, unterstützen. Recherchiere daher stets gründlich und wähle das Format, das am besten zu dir, und ihnen, pass!
Wir alle können unseren Beitrag zu einer gesünderen Musikindustrie leisten, indem wir für Musik und die Formate, in denen sie veröffentlicht wird, bezahlen.
Unterstützte unabhängige MusikerInnen, kleine Labels und deinen lokalen Plattenladen!
Verpasse keinen Post aus dem LANDR Blog