Der Tanz mit dem Techno: Musik-Projekte, die Disziplinen zusammengebracht haben

Der Tanz mit dem Techno: Musik-Projekte, die Disziplinen zusammengebracht haben

Techno-Soundtrack? Wagner im Berghain? Ostgut und das Berliner Staatsballett? Wenn Genres und Disziplinen sich vereinen.

Disziplinen werden gerne mal getrennt – man geht in die Oper, in’s Ballett oder eben in den Club tanzen. Doch was passiert, wenn innovative Geister querdenken und Brücken schlagen zwischen Genres und Stilen, die in den Köpfen vieler nach wie vor nicht zusammen gedacht werden?

Elektronische Musik auf der Bühne und im Film

Schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit der Entstehung der ersten elektronischen Musik, wurden musikalische Innovationen und damit sich neu abzeichnende Genres mit ‘klassischen’ Genres wie der Oper und dem Ballett verbunden.

Bereits in den 1950er Jahren komponierte Pierre Henry, einer der Vorreiter der Musique Concrète, beispielsweise Musik für das Ballett wie La Reine Verte (1963) und verband somit zwei bis dahin eher separat gehaltene Disziplinen (und brachte gleichzeitig elektronische Musik einen riesigen Schritt nach vorne).

Im Jahr 2000 wagte sich auch der Detroiter Techno-Pionier Jeff Mills an etwas ‘älteren’ Stoff und schuf mit seinem Soundtrack zu Fritz Langs Stummfilm Metropolis (1927) ein geradezu episches Werk, mit dem er grandios vor Augen führte, dass Fritz Langs dystopische Darstellung des industriellen Molochs der Moderne weder an Gültigkeit noch Kraft verloren hat (Stichwort Mills’ Heimatstadt Detroit).

Wir stellen euch hier zwei Projekte vor, die in den letzten 10 Jahren auf eindrucksvolle Weise disziplinäre Grenzen überschritten und gezeigt haben, wie weit Techno gehen kann (beide Male hat das Berghain seine Finger im Spiel).

DER KURZFILM BLACK MOUNTAIN (2016)

Schon lange haben Wagners Oper Parsifal – uraufgeführt im Jahre 1882 – und Berghain-Techno anno 2017 nicht mehr nichts miteinander zu tun.

Disziplinen können sich gegenseitig erkunden, befragen, befruchten. Genau dieses kreative Potential des disziplinären Crashs nutzte Moritz von Oswald, als er – studierter Orchesterschlagwerker, Techno-Produzent und Gründer des legendären Techno-Labels Basic Channel – den Soundtrack für den Kurzfilm Black Mountain komponierte.

Die Kulisse, das Berghain, mag dabei keine großen Schwierigkeiten bereitet haben – Moritz von Oswald ist mit dem Club bestens vertraut -, der zu bespielende Stoff war in diesem Zusammenhang jedoch etwas ungewöhnlicher: Richard Wagners Oper Parsifal, die 1882 in Bayreuth uraufgeführt wurde und dessen mythischer Ursprung sogar ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Eine Gralssuche, in der Ritter versuchen, den Frauen zu widerstehen und mit der Wagner das Religiöse durch die Kunst erfahrbar machen wollte.

Das Berghain wird zwar gerne als “Tempel des Techno” bezeichnet und bietet durchaus eine spektakuläre, Wagners Dramatik mehr als angemessene Kulisse, kommt einem jedoch vielleicht nicht unbedingt als erstes in den Sinn, wenn man an eine Übertragung Wagners ins 21. Jahrhundert denkt.

Ein neuer Techno-Parsifal

Kulturberater Jan Engel und das Künstlerkollektiv Like a Wild Beast’s Fur (LAWBF), das regelmäßig in der Kantine am Berghain zu sehen und für seine Arbeit an der Schnittstelle zwischen Theater und Techno bekannt ist, wagten jedoch den Schritt und machten aus der Oper einen Techno-Parsifal, der das Werk Wagners sowie die Oper als Genre einem jüngeren Publikum zugänglich machen sollte.

Dabei entstand in Zusammenarbeit mit Größen der Berliner Nacht- und Theaterszene ein dunkler, hochmoderner und kongenial ins 21. Jahrhundert übertragener Parsifal-Film, der ästhetisch in jeglichem Sinne ist. Von der Oper ist so natürlich nicht mehr viel übrig geblieben, doch genau hier zeigt sich ein gemeinsame Nenner: Geschichten können eben auch mit Techno erzählt werden.

Wagners Werk ist gekennzeichnet von dem Verfahren der Leitmotivik – ein interessanter Prozess der Wiederholung (in der Klassik häufig zu finden), der einen Wiedererkennungswert schafft und so durchaus mit Verfahren heutiger elektronischer Musik vergleichbar ist (Stichwort Sampling und Loops).

Moritz von Oswald behielt dabei drei der Leitmotive des Wagner’schen Parsifal bei: Gral, gespielt von Berliner Türsteher-Legende und Fotograf Sven Marquardt, Leiden (Veruschka von Lehndorff, Supermodel-Ikone der 60er Jahre) und Erlösung (die wundervolle Nina Kraviz). Auch Peaches, die es seit Jahren in der Berliner Musikszene bunt treibt, ist mit von der Partie.

Zwischen der Uraufführung des Parsifal während der 2. Bayreuther Festspiele und dem Film, der bei den 105. Bayreuther Festspielen zu sehen war, liegen immerhin stolze 132 Jahre. Der Film, ein Förderprojekt der Audi Zeitgeist-Initiative, ist nur ganze 10 Minuten lang, schafft es jedoch in dieser kurzen Zeit nicht nur, die Geschichte des Parsifal (wenn auch stark abgespeckt) zu erzählen, sondern eben auch jene einer außergewöhnlichen Verbindung zweier Genre und Welten – ein wahrer Remix.

Hier der komplette Film zum Anschauen (und vor allem auch Anhören):

BALLETT FEAT. BERGHAIN

Tanz im ästhetisieren Industrieraum – damit kennt sich das Berghain aus. Bis 2007 war das jedoch eher typisches Nachtgeschwärme, statt Ballett. Doch dann wartete das Berghain mit einem Genre-Crossover auf, das in einer Zusammenarbeit mit dem Berliner Staatsballett bestand – 2007 unter dem Motto Shut up and Dance! Reloaded sowie im Jahr 2013 mit dem Projekt Masse.

Ein großer gemeinsamer Nenner ist da leicht gefunden: der Tanz, seien die Stile da auch noch so verschieden. Dass das Ballett mittlerweile nicht mehr nur traditionelle Aufführungen des Nussknackers zu bieten hat – insbesondere in der innovativen Metropole Berlin -, ist unbestreitbar. Dass in Verbindung mit feinstem Techno aus der Feder von Berghain-Residents und Ostgut-Größen Henrik Schwarz, Marcel Dettmann und Frank Wiedemann sowie Phillip Sollmann und Marcel Fengler alias DIN allerdings ein absolut neuartiges Ballett-Ereignis entstehen kann, begeisterte schon bei der ersten Kollaboration 2007 die kultursüchtigen Großstädter.

Das Projekt MASSE(2013)

Besonders das Projekt Masse, das im Mai 2013 gezeigt wurde, glänzte durch eine besonders auffällige Multidisziplinarität – die ChoreographInnen Nadja Saidakova, Xenia Wiest und Tim Plegge kreierten zu den drei, jeweils aus mehrere Tracks bestehenden Werken der Techno-Produzenten zusammen mit 30 TänzerInnen ein dreiaktiges Techno-Ballett, das durch das von Maler Ralf Binsky geschaffene Bühnenbild ästhetisch ergänzt wurde.

Henrik Schwarz’ Stück Balletsuite #1 – Masse, Dettmanns und Wiedemanns Menuett sowie DINs EVOLVE trugen und triggerten dabei die fluiden Bewegungen der TänzerInnen, die im Tanz den Techno erkundeten.

Klangforschung an der Schnittstelle zwischen Techno und Tanz

Dabei entfaltete sich eine interessante Mischung aus eher klassischen Elemente, die hauptsächlich aus akustischen Instrumenten wie Streichern, Gitarre und Klavier bestanden, und durch Synthesizer und Bässe hervorgerufene Brüche bzw. härtere Partien.

Die gestählten Tanzkörper transportierten die subtile Spannung der Techno-Elemente in den Stücken, die von Körper zu Körper weitergegeben wurden. Eine Art Klangforschung, die die Musiker offensichtlich in Zusammenarbeit mit den Bewegungen der TänzerInnen und den Ideen der ChoreographInnen anstellten. Tanz meets Techno auf höchstem Niveau.

Henrik Schwarz zeigte beispielsweise anhand seines Stücks Unknown Touch, mit dem er seine Suite eröffnete, wie man akustische Instrumente zu einem einfühlsamen und weitreichenden Klangteppich verwebt:

Das Industrial-Tönen der Berghain-Residents kam immer wieder in abgespeckter Form zum Vorschein, wie beispielsweise in Dettmanns & Wiedemanns Martellato:

Kunst und KI

Im Zeitalter künstlicher Intelligenz sowie voranschreitender Digitalisierung und Robotisierung (die mittlerweile auch die Oper erreicht hat) erheben sich viele Stimmen, die darin eine schleichende Dystopie erkennen wollen. In Hinblick auf die Kunst und vor allem die Musik sind durch digitale und elektronische Innovationen jedoch neue Möglichkeiten der Kollaboration und Kreativität entstanden, die nicht nur bestehende Trennungen (zwischen Disziplinen, Genres, der vermeintlichen Hoch- von der Popkultur uvm.) in Frage stellen, sondern aus denen auch ganz neue Arten der Wahrnehmung und Ästhetik hervorgegangen sind.

Wer selbst Musik macht, kann daraus viel lernen: Den Horizont zu erweitern, birgt immenses Inspirationspotential und kann viel ungeahnte (oder seit langem blockierte) Kreativität freisetzen.

Ich bin mir übrigens ziemlich sicher: Wagner wäre heute Techno-Produzent.