Colin Benders Welt der modularen Synthesizer: Ein Patch nach dem anderen

Colin Benders Welt der modularen Synthesizer: Ein Patch nach dem anderen

Colin Benders, der Meister des Modularen, kartographiert die modulare Welt, Patch für Patch.

Colin Benders ist ein Dirigent der eher ungewöhnlichen Sorte…

Da gibt es keinen schicken Blazer, keinen Dirigentenstab, keine samtenen Halbschuhe.

Stattdessen gibt es Patch-Kabel, Filter, Oszillatoren, Sequenzer, Steuerspannungen und vielleicht auch ein Paar bequemer Hausschuhe – der holländische Produzent ist Dirigent der Synth-Module.

Colin Benders und sein Weg zum Modularen

Benders hat jedoch TASÄCHLICH Erfahrung als Dirigent im traditionellen Sinne. Kurz nachdem er sein Studium am Konservatorium in Holland abgebrochen hatte, gründete und dirigierte Benders das Kyteman Orchester, eine 30-köpfige Gruppe, die weniger konventionelle Elemente wie 10 Rapper, jedoch auch konventionellere Instrumente wie Streicher und Percussions beinhaltete.

Später ließ Benders jedoch all das hinter sich, um sich der Arbeit mit seiner Ausrüstung für die modulare Synthesis, dem Eurorack, zu widmen: Einer gigantischen, farbenprächtigen, mit bunten Lichtern gespickten Kabelwand – ein Orchester der anderen Art, dessen musikalischen Strom Bender leitet.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, Benders Liebling bestehe aus überall verstreuten bunten Lackritzschlangen. Aber wenn man genauer hinsieht und -hört… dann ertönt aus dem Kabel-Wirrwarr eine sich dahinwindende, diverse Formen annehmende Symphonie elektronischer Klangforschung. Es handelt sich um die eigenartige Welt der modularen Synthesis, in der sich Colin Benders besser auskennt als die meisten Anderen.

Alleine ist er dort jedoch trotzdem nicht. Benders shart seinen kompletten Schaffensprozess per Live-Stream auf Twitch, YouTube und Facebook. Er lädt ZuschauerInnen während seiner marathonartigen Jam-Sessions, die häufig mehrere Stunden dauern, sogar dazu ein, live Fragen zu stellen und die Kontrolle über den Synthesizer zu übernehmen.

Seine Herangehensweise an die Produktion sowie das Sharing ist extrem erfrischend in der häufig einschüchternden Welt des Modularen. Er bricht komplexe Themen herunter, sodass sowohl beiläufige Fans als auch absolute Modul-Freaks Spaß dabei haben.

Benders hat uns Einblick in seine modulare Welt gewährt und mit uns darüber gesprochen, wie wichtig er es findet, seinen Prozess anhand von Live-Streams mit seiner Community zu teilen, welche seine bevorzugten Eurorack-Hersteller sind und was er vom aus dem Nichts entstandenen Hype des Eurorack-Formats hält.

Du hast Musik in komplett verschiedenen Bereichen gemacht, seit du zum ersten Mal ein Instrument in der Hand gehalten hast. Wie bist du an den Punkt gelangt, an dem du dich heute als Musiker befindest?

Meine erste Begegnung mit dem Musizieren hatte ich mit 3, als mein Onkel zu einer Familienfeier eine Trompete mitgebracht hat. Ich war regelrecht besessen von diesem Instrument, was schlussendlich dazu führte, dass mein Onkel es mir geschenkt hat. Ich wartete geduldig, bis ich genug Zähne hatte, um das Teil überhaupt zu spielen, was erst ein paar Jahre später, als ich 7 oder 8 war, der Fall war. Seitdem ist Musik mein absoluter Mittelpunkt. In allem Anderen bin ich ziemlich schlecht, meine Hyperaktivität macht mir immer einen Strich durch die Rechnung, wenn ich mich auch nur auf die simpelsten Sachen konzentrieren will. Doch immer dann, wenn Musik mit im Spiel war, hat für mich alles mehr Sinn ergeben.

Mit 12 bin ich zum Konservatorium gegangen, wo ich zum ersten Mal live mit Bands aufgetreten bin, die hauptsächlich Jazz und Hip-Hop gemacht haben. Ich habe Schule und Konservatorium mit 18 abgebrochen und mich seitdem vorwiegend auf meine eigenen Projekte konzentriert, woraus dann später das Kyteman-Orchester entstanden ist. Das bestand aus 30 Leuten mit Streichinstrumenten, Blechblasinstrumenten, Schlagzeug, Percussions, Bass, Tasteninstrumenten und 10 Rappern, sowie mir als Dirigent. Das Projekt war in Holland unglaublich erfolgreich, sodass wir jahrelang weitermachen konnten. Gen Ende wurde das Projekt immer experimenteller, was dazu führte, dass wir sogar eine eigene Zeichensprache entwickelt haben, mit der wir Partituren verfassen konnten. Meine Arbeit mit dem Kyteman Orchester hat mir auch die Zusammenarbeit mit anderen Orchestern ermöglicht und mir die Gelegenheit geboten, Musik für größere Formationen zu schreiben.

Das bestand aus 30 Leuten mit Streichinstrumenten, Blechblasinstrumenten, Schlagzeug, Percussions, Bass, Tasteninstrumenten und 10 Rappern, sowie mir als Dirigent.

Witzigerweise hat das, was ich heute mache, wenig mit all dem zu tun. Ich habe eine ziemliche Kehrtwende gemacht und mich völlig der modularen Synthesis verschrieben, was eine bewusste Entscheidung war, die ich vor etwa 2 – 3 Jahren getroffen habe. Seitdem habe ich mich langsam immer weiter aus der Orchester-Arbeit zurückgezogen und mich mehr der modularen elektronischen Musik gewidmet. Mittlerweile mache ich ausschließlich das.

Hast du in jeder Phase deiner musikalischen Karriere etwas gelernt, das dir jetzt mit der modularen Synthesis hilft?

Ich denke das Wichtigste, was meine Karriere mir beigebracht hat, ist mein musiktheoretisches Wissen, das weniger auf mein Instrument beschränkt, sondern sehr breit ist. Ich habe gelernt, Musik eher von eine Makro-Perspektive zu betrachten, indem ich stets versuche, das große Ganze zu sehen, bevor ich mich in einer Kleinigkeit verliere. In meiner Rolle als Leiter eines Orchesters musste ich mich stets in alle Mitglieder gleichzeitig hineinversetzen und versuchen, dass, was wir spielen, aus ihrem Blickwinkel heraus zu hören. Gleichzeitig musste ich natürlich immer das Musikstück selbst im Blick behalten. Ich fing an, mir Musik als einen stillen Rahmen vorzustellen, der darauf wartet, von den Interpretationen der Anderen ausgefüllt zu werden. Genau das war für mich die Freude daran – ich hatte eine Vorstellung davon, wie wir klingen konnten, war mir jedoch nie ganz sicher, bis wir es umgesetzt hatten.

Die Musik ist, wie etwas klingen konnte, die Performance ist, wie etwas heute klingt.

Das beantwortet zwar nicht wirklich deine Frage, aber eine der wichtigsten Sachen, die ich bisher gelernt habe, besteht darin, die einzelne Performance von der Musik zu trennen. Die Musik ist, wie etwas klingen konnte, die Performance ist, wie etwas heute klingt. In einem anderen Umfeld, mit anderen Leuten und anderen Instrumenten kann etwas komplett anders klingen, trotzdem ist das Ganze eine Reflexion des musikalischen Potentials. Das verleiht in meinen Augen der Musik den Status etwas Außerzeitlichen.

Wie bist du zum ersten Mal mit modularer Synthesis in Berührung gekommen und was hat dich daran so fasziniert?

Ich habe nach einem Ersatz für meine Plugins gesucht. Ich hatte stets den Eindruck, dass meine Synth-Sounds irgendwie zu stumpf, zu plastisch waren. Und natürlich bin ich auch ein wenig der Idee verfallen von wegen “analog ist so viel [Superlativ einfügen]”, obwohl ich überhaupt keine Erfahrung mit analogen Synthesizern hatte. Ihnen hing dieser Mythos an, dass mit ihnen einfach alles umwerfend klingen wurde und ich daher unbedingt einen bräuchte. Als ich mich dann auf die Suche nach einem Synthesizer gemacht habe, war ich dementsprechend ein wenig enttäuscht, dass jeder nur ein bisschen was von dem konnte, was ich suchte, und nie alles auf einmal. Außerdem war ich kein wirklich guter Klavierspieler, weshalb es mir wie eine Verschwendung vorkam, in einen Keyboard-Synthesizer zu investieren.

Als ich zum ersten Mal etwas von modularen Synthesizern gehört habe, gefiel mir die Idee gleich, dass ich auf diese Weise mein eigenes System bauen konnte. Wenn ich z.B. eine Minimoog-Stimme mit einem SEM-Filter haben wollte, konnte ich das machen. Schlussendlich kam mir das wie das perfekte Zusammenspiel vor, daher habe ich einige Module bestellt und ganz aufgeregt auf die Lieferung gewartet.

Es gab bloß Furzgeräusche von sich und ich hatte keine Ahnung, wie alles funktioniert.

Naja, das hat dann nicht ganz so gut geklappt. Ich habe das Teil gehasst, weil es bloß Furzgeräusche von sich gegeben hat und ich keine Ahnung hatte, wie alles funktioniert. Später wurde mir dann bewusst, dass ich da eine absolut willkürliche Ansammlung von Instrumenten extrem viel Geld ausgegeben hatte. Am Ende stand das Teil dann für ca. zwei Jahre einfach nur wie eine dekorative Topfpflanze in der Gegend rum.

Irgendwann hat mich das so sehr gestört, dass ich dem Ganzen nochmal eine Chance gegeben habe. Irgendwas musste sich doch damit anfangen lassen! Ich habe die Arbeit wieder aufgenommen und hatte am Ende ein vollkommen polyphones Patch. Im Grunde war es ein kompletter Song. Alles war da und ich war begeistert. Die ganze Art und Weise, wie man das Instrument spielt, hat auf einmal so viel mehr Sinn ergeben. Mir wurden auch die ganzen Makel im Setup bewusst, was dazu führte, dass ich dem Ganzen ein drastisches Upgrade verpasst und alle Locher, die mir im ersten Setup gar nicht aufgefallen waren, gestopft habe. Ich fühle noch heute, dass in meinem tölpelhaften und wackligen Setup vom Anfang die Möglichkeit für etwas Magisches steckte. Ich wusste nur nicht, wie ich es umsetzen konnte. Das ist es, was mich jeden Tag wieder zu meinem Synthesizer hinzieht – die Hoffnung, so eine Erfahrung wiederholen zu können.

Es hat sich irgendwie so angefühlt, als hätte ich es mit einer Gerätschaft zu tun, die bereit ist, mir wunderbare Ergebnisse zu liefern, sofern ich ihr die richtigen Fragen zu stellen weiß.

Jetzt da ich mit modularen Synthesizern arbeite, fallen mir einige Gemeinsamkeiten zum Orchester auf. Ich habe nach wie vor meine ‘ersten Geigen’, meine ‘zweiten Geigen’, eine Rhythmus-Gruppe etc. Und alle leisten ihren individuellen Beitrag zum großen Ganzen. Jede Gruppe hat die Möglichkeit, kontrolliertes Terrain zu verlassen, jedoch nur dann, wenn ich es erlaube oder weiß, wie ich sie dorthin bekomme. Es fühlt sich irgendwie so an, als hätte ich es mit einer Gerätschaft zu tun, die bereit ist, mir wunderbare Ergebnisse zu liefern, sofern ich ihr die richtigen Fragen zu stellen weiß. Ich entdecke nach wie vor jeden Tag Neues, von dem ich nicht wusste, dass es überhaupt möglich ist, aber sobald ich es umsetze, ergibt alles kompletten Sinn. Du musst lediglich die Logik dahinter verstehen, was eine ziemliche Herausforderung ist, wenn man 20 verschiedene Teile hat, die miteinander interagieren.

Die Beziehung zu deinem modularen System ist demnach sehr speziell?

Für mich geht es darum zu wissen, dass stets die Möglichkeit besteht, dass ich ein Patch finde, das mich komplett von den Socken haut.

Mein Instrument kann alles für mich spielen, solange ich weiß, wie ich danach frage. Es gab Situationen, da haben Andere auf meinem Synthesizer gespielt und ich habe ihn kaum als mein Instrument wiedererkannt. Es ist faszinierend, wie persönlich ein Ergebnis sein kann. Ich war Zeuge davon, wie Leute mit meinem System Sachen kreiert haben, die ich nie für möglich gehalten hätte.

Kannst du uns erklären, was Eurorack ist und welche Entwicklung du es hast durchlaufen sehen, seit du angefangen hast, mit diesem Format herumzuexperimentieren?

Eurorack ist ein Format modularer Synthesizer, das sich zum beliebtesten Format gemausert hat. Es ist kleiner als seine Mitstreiter, was besonders diejenigen anzieht, die ihr Wohnzimmer nicht komplett in ein riesiges Studio umwandeln wollen, insbesondere wenn sie dieselbe Anzahl an Modulen auch in einer Tasche mit sich herumtragen könnten. Ich denke der Größenfaktor war ausschlaggebend dafür, dass Eurorack das Rennen gemacht hat in Hinblick auf Beliebtheit.

Als ich angefangen habe, musste man sich noch zwischen Eurorack oder 5U (größere Pannel, ¼-Inch- statt ⅛-Inch-Buchsen) entscheiden, wobei am Ende die Entscheidung auf Eurorack fiel, weil es kleiner und günstiger war. Mittlerweile wählen die Leute Eurorack, weil es um einiges mehr bietet. Es gibt Tausende von Modulen, aus denen man wählen kann (Modulargrid beziffert die Module mit 4896 zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels) und jede Woche werden weitere entwickelt. Ich glaube dieser Beliebtheitsboom – der übrigens schon anfing, bevor modulare Synthesizer so richtig en vogue waren – ist eine der größten Entwicklungen, die ich bisher mitbekommen habe.

Viele MusikerInnen, die mit modularer Synthese arbeiten, erstellen häufig eher abstrakte Klangcollagen statt Tracks mit erkennbaren Parts. Deine Herangehensweise scheint eher traditionelle Elemente elektronischer Musik (wie Kicks, Hi-Hats, Bass Line etc.) zu betonen. Weshalb ziehst du diesen Ansatz den abstrakteren Anwendungsweisen modularer Synthese vor?

Das hängt bestimmt auch mit meinem Orchester- und Beats-Hintergrund zusammen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich nach wie vor auf der Suche danach bin, wie ich das Abstrakte in meine Arbeit integrieren kann. Nichtsdestotrotz werde ich immer einen tonaleren Ansatz verfolgen als Andere. Ich stehe total auf Akkorde und epische Abschnitte – der Soundtrack zu Die unendliche Geschichte ist wahrscheinlich mein absoluter Lieblingssoundtrack. Im Idealfall gelingt es mir, eine Balance zwischen Akkord-basierter Musik und Sounddesign zu finden, aber auf diesem Gebiet muss ich noch viel lernen.

Fällt es dir schwer, der Versuchung zu widerstehen, ständig alle neu erschienenen Module zu kaufen, die gefühlt im Minutentakt auf den Markt kommen?

Absolut, das Ganze heißt nicht umsonst Eurocrack… Aber ganz im Ernst, ich muss zugeben, dass diese Begeisterung zeitweise verrückte Ausmaß angenommen hat. Ich kann meine Käufe dadurch legitimieren, dass ich mich dazu zwinge, mir nur das anzuschauen, was eine logische Erweiterung darstellt, aber trotzdem wächst mein System jeden Monat. Derzeit habe ich einfach keinen Platz mehr für neue Module, was die Anschaffung von neuen Sachen im Zaum hält.

Ein Traum für
jede/n Synth-SammlerIn.

Außerdem versuche ich langsam aber sicher, zu dem Punkt zu gelangen, an dem mein System komplett ist. Was mich am meisten interessiert, sind Vervielfältigungen dessen, was ich bereits besitze. Da einige meiner Module einmal in begrenzter Stückzahl und dann nie wieder produziert wurden. Ich nehme an, das ist auch Teil der Eurorack-Szene – ein Traum für jede/n Synth-SammlerIn.

Kannst du uns ein paar Eurorack-Hersteller deines Vertrauens nennen?

Einer meiner Lieblinge ist MacBeth. Er denkt sich etwas Fantastisches aus, baut dann eine Ladung bestehend aus vielleicht 10 Teilen, langweilt sich irgendwann und macht das Ganze nie wieder. Alles, was er macht, hört sich fantastisch an und basiert auf einem genialen Design. Ein weiterer toller Hersteller ist Orthogonal Devices. Die haben den Sequenzer gebaut, den ich für so ziemlich alles nutze. Dieser Sequenzer hat mir unglaublich viele Möglichkeiten eröffnet, Sachen, die mich vorher Tage gekostet haben, kann ich jetzt innerhalb von ein paar Minuten erledigen.

Ohne Doepfer gäbe es die heutige Eurorack-Szene nicht.

Zu guter Letzt muss ich natürlich auch noch Doepfer erwähnen, da sie schlicht diejenigen waren, die die Eurorack-Bewegung angestoßen und andere dazu ermutigt haben, zu diesem Format zu wechseln. Ohne Doepfer gäbe es die heutige Eurorack-Szene nicht.

Benutzt du auch vorgefertigte Synthesizer? Und falls ja, findest du das frustrierend und einschränkend im Vergleich zu der Freiheit, die dir die modulare Synthese bietet?

Direkt über meinem Studio ist ein Laden namens Sonar Traffic, der aus zwei Typen mit einer riesigen Synthesizer-Sammlung besteht. Die haben wirklich alles, das Roland-System 100 & 700, den Arp 2600, alle Jupiter, Synthon und so ziemlich alle Drum Machines, die es gibt. Ich bin ziemlich oft für ein paar Minuten in ihren Studios und höre den verschiedenen Instrumenten zu. Ich würde dort gerne irgendwann einfach mal für eine Woche sitzen und alles aufnehmen, aber das würde nicht so ganz in meinen regulären Arbeitsablauf passen.

Ich liebe mein Kabel-Chaos und die Art und Weise, wie alles in mein Format passt.

Ich liebe mein Kabel-Chaos und die Art und Weise, wie alles in mein Format passt. Wenn ich jedoch mit einem festgestellten Synthesizer arbeite, genieße ich irgendwie die Limitationen, die mir dadurch auferlegt werden, da ich mich so darauf konzentrieren muss, wie ich etwas zum Laufen bringe.

Live-Streaming ist einer großer Teil deines Prozesses. Warum ist es so wichtig für dich, deinen Prozess mit Anderen zu teilen, und wie hilft dir das dabei, deine Musik zu promoten und zu verbreiten?

Das mit dem Live-Streaming ist eher willkürlich entstanden. Ich habe einfach eines Tages entschieden, dass ich es machen will, und jetzt, ein Jahr später, mache ich es immer noch. Es hat meine Konzentration verbessert, denn plötzlich waren da Leute mit Erwartungen, die einen Einblick in meinen täglichen Arbeitsablauf bekamen. Sachen, die vorher Stunden gedauert haben, wie z. B. Jam-Sessions oder Performances, waren auf einmal innerhalb von Minuten erledigt.

Mein Sound schwankt stark zwischen super melodisch und Techno/Rave. Daher weiß niemand wirklich, was sie oder er zu erwarten hat, inklusive mir.

Am Anfang habe ich Twitch zum Streamen benutzt, später dann YouTube und schlussendlich Facebook. Ich war ziemlich baff, als ich herausgefunden habe, dass Facebook eine solche Reichweite hat, mit bis zu 3.000 ZuschauerInnen auf einmal (davor, bei Twitch, haben mir normalerweise ca. 2 bis 30 Leute zugeschaut).

Das Witzige ist, dass ich bisher noch nichts veröffentlicht habe. Ich stecke noch tief in der Produktionsphase meines modularen Projekts, sodass meine ZuschauerInnen in gewisser Weise auch Teil meiner Produktionen sind. In letzter Zeit erhalte ich auch immer wieder Anfragen für Live-Auftritte, was ein bisschen verwirrend ist, da ich ja noch keine Songs habe und mein Sound stark zwischen super melodisch und Techno/Rave schwankt. Daher weiß niemand wirklich, was sie oder er zu erwarten hat, inklusive mir. Aber irgendwie macht dadurch das Ganze noch mehr Spaß. Ich nehme an, dass alles mehr Sinn ergeben wird, sobald ich Sachen veröffentliche. Bis dahin ist das ein angenehmes Chaos, mit dem man arbeiten kann.

Viele deiner Live-Streams sind extrem lang, manche sogar ganze 12 Stunden! Hast du das Gefühl, dass dein Prozess lange Sitzungen verlangt, um so das Beste aus ihnen herausholen zu können?

Die Länge meiner Streams hängt ganz einfach damit zusammen, dass sie 1:1 meine Arbeitstage abbilden. Am Ende suche ich meistens noch nach Song-Ideen oder Skizzen, die ich an späterer Stelle weiterentwickeln kann.

Das Streaming zwingt mich dazu, mich auf das, was ich tue, mehr zu konzentrieren, da es gesunden Druck ausübt. Ich profitiere demnach von der Situation. Letzten Endes ist das jedoch keine Live-Show oder Performance, sondern es zeigt einfach nur mich, wie ich Tracks kreiere. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass meine Streams so lang sind. Klar, ich könnte den Feed auch einfach nach einer Stunde beenden, aber da ich sowieso noch weitermachen werde, kann ich auch einfach weiter streamen.

Deine Kompositionen sind häufig lange Jams, die mäandern und dabei viele verschiedene Bereiche anschneiden. Wie bearbeitest du deine Tracks, wenn du fertig bist?

Daran arbeite ich derzeit noch. Mir gefällt es, alles in einer Sitzung zu erledigen und alle Teile gleichzeitig zu spielen. Das bedeutet jedoch auch, dass Fehler ziemlich schwer wiegen, da man die komplette Sitzung nochmal wiederholen muss. Ich habe es mit Nachbearbeitung usw. versucht, aber bisher fühle ich mich wohler, indem ich den Track zu einem späteren Zeitpunkt einfach nochmal neu aufrolle. Derzeit sieht mein Workflow daher so aus, dass ich während meiner Streams jamme, bis ich etwas Cooles finde, es dann später nachbilde und dann so viele Versuche mache, bis ich eine gute Aufnahme habe. Dieser Teil des Prozesses verlangt ein bisschen mehr Zeit und eine präzise Herangehensweise, weshalb ich das nicht wirklich streame.

Wie bist du auf LANDR aufmerksam geworden und inwiefern ist es wichtig für deinen Arbeitsprozess?

Ich habe LANDR entdeckt, als ich Tracks an Andere verschickt habe. Ich wollte, dass sie besser klingen als nach meiner eigenen Bearbeitung, wollte jedoch keinen Mastering-Ingenieur für jede Kleinigkeiten, die ein bisschen Bearbeitung bedurfte, bezahlen. Ich lasse meine größeren Veröffentlichungen nach wie vor traditionell mastern, für alles Andere ziehe ich allerdings zuerst LANDR zu Rate, um zu sehen, ob alles so geworden ist, wie ich es mir vorgestellt habe. Meistens passt es entweder einwandfrei oder ich kann es selbst im Mix korrigieren.

Inwiefern bedienst du dich Kanälen wie YouTube und Twitch, um mit deiner Fangemeinde zu interagieren? Orientierst du dich an Feedback, um zu entscheiden, was du machst und streamst?

Die Interaktion macht mir beim Streamen am meisten Spaß. Viele der Leute in meinen Streams wissen zumindest ungefähr, wie diese Instrumente funktionieren, sodass manchmal tolle Ideen entstehen aus dem, was sie untereinander diskutieren. In letzter Zeit nehmen viele Leute am Stream teil, die sich null mit dem Instrument auskennen, sondern denen einfach die Musik gefällt, was ein tolles Kompliment ist. Nach einer guten Jam-Session hilft mir häufig das Feedback der UserInnen dabei, die Session zu einem späteren Zeitpunkt zu bearbeiten und neu zu formen.

Nach einer guten Jam-Session hilft mir häufig das Feedback der UserInnen dabei, die Session zu einem späteren Zeitpunkt zu bearbeiten und neu zu formen.

Du interagierst viel und häufig mit deiner Community, indem du Fragen beantwortest, die Fans dir bezüglich deines Setups und Arbeitsprozesses schicken. Generell scheint die Welt der modularen Synthesizer durch einen starken Sinn für Community geprägt, wie beispielsweise durch Seiten wie Muff Wiggler. Versuchst du bewusst, dich so viel wie möglich in diese Community einzubringen?

Ohne das Feedback aus der Community wäre ich wahrscheinlich nicht da, wo ich heute bin. Modulare Synthesizer gibt es schon seit langem. Nichtsdestotrotz ist es nicht so leicht in Erfahrung zu bringen, wie man diese Instrumente spielt, wie das z.B. fürs Klavier der Fall ist. Insbesondere jetzt, da das Eurorack-Format viele Funktionen bietet, die vorher im modularen Format unmöglich waren, müssen viele Techniken erst noch entdeckt werden, bevor sie Anderen übermittelt werden können.

Ohne das Feedback aus der Community wäre ich wahrscheinlich nicht da, wo ich heute bin.

Darin liegt meiner Meinung nach die Stärke der Community. In Hinblick auf dieses Instrument hat keine/r alle Antworten und keine/r weiß alles, was es da zu wissen gibt. Da alle jedoch so erpicht darauf sind dazuzulernen, kann jemand, die oder der etwas Neues entdeckt und diese Entdeckung teilt, dazu beitragen, dass auf einmal neue Möglichkeiten entstehen. Diese Herangehensweise an das Erlernen von Musik basiert meiner Meinung nach stark auf dem Open-Source-Konzept. Wenn man sich Communitys wie Muff Wiggler, Modulargrid und all die kleineren Facebook-Communitys anschaut, stellt man schnell fest, dass sie alle hart daran arbeiten, alle Klänge, die in diesem Instrument stecken, zu entdecken.

Wie sieht deiner Meinung nach die Zukunft der Audioproduktion aus?

Hmm… ziemlich schwer zu sagen, ohne wie ein Verschwörungstheoretiker zu klingen. Ich vermute jedoch, dass die DrahtzieherInnen hinter der Musikproduktion immer etwas finden werden, mit dem sich ProduzentInnen bis zur Besessenheit auslassen können, egal ob es sich dabei um neue Software, ein Musikgenre oder einen technologischen Durchbruch handelt.

Das Potential ist unerschöpflich, was bedeutet, dass das, zu dem wir heute fähig sind, noch gar nichts ist.

Folge Colin auf seiner eindrucksvollen Webseite und abonniere Colins Streams auf seinem Twitch-, YouTube– und Facebook-Kanal. Du kannst dir außerdem Colins bevorstehende modulare Live-Sets an, u.a. ein Auftritt auf dem grandiosen Dekmantel Festival.