Wie die Blockchain-Technologie dabei helfen kann, die Zukunft der digitalen Musikindustrie zu gestalten

Wie die Blockchain-Technologie dabei helfen kann, die Zukunft der digitalen Musikindustrie zu gestalten

Die Musikbranche braucht einen Umbau.

Dass das Urheberrecht in Zeiten von Streaming-Diensten, digitaler Distribution und einer sich heute mehr als je im Wandel befindlichen Musikindustrie nicht mehr nur ein paar Lücken aufweist, sondern längst nicht mehr auf dem neuesten Stand der Dinge ist, davon haben in den letzten zwei Jahrzehnten unter anderem einige (gerichtliche) Streitigkeiten gezeugt. Durch diese wurde, wie ich bereits an anderer Stelle eingehender beschrieben habe, vor allem deutlich, dass insbesondere in Hinblick auf die Definition des geistigen Eigentums sowie des Urheberrechts im digitalen Zeitalter viele Fragezeichen in der Luft hängen.

Am 1. Juni wird nun fieberhaft das neue Urteil des Bundesgerichtshofs zum Thema Tonträger-Sampling erwartet (im Prozess Kraftwerk vs. Pelham). Viele erhoffen sich durch dieses Urteil nicht nur mehr rechtliche Klarheit, was einige Verfahren der modernen Musikproduktion, wie z.B. das Sampling, anbelangt, sondern sehen darin auch einen Schlüsselmoment, an dem wir einiges darüber erfahren könnten, wie die Modernisierung der Musikindustrie vonstatten gehen könnte.

Wir nehmen das bevorstehende Urteil zum Anlass, um über positive Ausblicke für die digitale Musikbranche der Zukunft zu sinnieren – einer Musikbranche, in der es MusikerInnen einerseits nicht nur immer leichter fällt, Musik zu produzieren und unters Volk zu bringen, sondern in der sie andererseits auch die gebührende symbolische und finanzielle Anerkennung für diese Musik erfahren.

Die Musikbranche und das Internet

Man kann dem Internet mit Recht so einiges vorwerfen, muss jedoch auch eingestehen, dass es wie kein anderes Phänomen des 20. Jahrhunderts Demokratisierungsprozesse begünstigt und ins Leben gerufen hat. Dass manche diesen Umstand missbrauchen und nicht nur hate speech mit Meinungsfreiheit verwechseln, sondern auch Raubbau mit persönlichen Daten und geistigem Eigentum betreiben, liegt nicht am Internet selbst, sondern an jenen, die Anonymität und Schlupflöcher ausnutzen, als auch an dem Umstand, dass es nach wie vor an bitter nötigen Regulierungen fehlt.

Nun geht es hier aber um die Musikbranche und es kann nicht geleugnet werden, dass besonders dort sehr viel Schabernack mit geistigem Eigentum betrieben wurde – vor allem Ende der 90er, als das Internet neu und überwältigend war und es noch um einiges chaotischer zuging, als das heute der Fall ist. Einen absoluten Tiefschlag musste die Musikindustrie erleiden, als illegale Musikdownloads zum neuen Hobby avancierten.

Fakt ist: Es gibt zu viele MusikerInnen, die nicht adäquat für ihre kreative und häufig harte Arbeit bezahlt werden. Dieser leidliche Umstand mag sich mit der Digitalisierung verschlimmert haben (auch wenn diese andererseits so Manches für MusikerInnen erleichtert hat), es ist jedoch keinesfalls so, dass es das in den ‘guten alten Zeiten’ der traditionellen Plattenfirmen nicht gegeben hätte.
Plattenfirmen sind, und waren schon immer, zuvorderst Unternehmen, die eben auch Geld machen wollen. Dieses schöpfen sie aus musikalischem Potential. Dem ist per se zunächst nichts vorzuwerfen, denn, wie David Byrne in einem Artikel in der New York Times treffend dargelegt hat, MusikerInnen und Plattenlabels sind eigentlich GeschäftspartnerInnen – das könnte theoretisch zu einer wunderbaren win-win-Situation führen. In der Realität hat sich diese ‘Partnerschaft’ jedoch leider allzu häufig als vorteilhaft für die Plattenfirmen entpuppt. Verbessert hat sich dieser Zustand heutzutage, da die wenigen verbleibenden großen Plattenlabels Teil von Multikonzernen wie Sony, Warner und Universal sind, nicht.

Da Musikfans nachgewiesenermaßen noch nie so freien Zugang zu Musik hatten wie im Zeitalter der Streaming-Dienste und Playlisten (und von diesem auch regen Gebrauch machen), ist die Frage legitim: Wer profitiert eigentlich am meisten von neuen Arten des Musikkonsums? Die Fans? Die Streaming-Dienste? Oder doch die MusikerInnen? Auch da finden wir viel Uneinigkeit und gerne auch mal unschöne Szenen vor Gericht – wie eben jene zwischen Kraftwerk und Hip-Hop-Produzenten Moses Pelham.

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Eine modernisierte Musikbranche

Hin oder her – es ist etwas faul in der modernen Musikindustrie, denn es scheint immer und überall VerliererInnen zu geben. Des Rätsels Lösung kann jedoch nicht darin liegen, sich nach den guten alten internetlosen Zeiten zurückzusehen (ein Narrativ, das etwas errichtet, was es so – bis auf die Internetlosigkeit – nie gab), sondern die richtigen Fragen zu stellen und nach adäquaten Antworten zu suchen. Wie können wir die Musikbranche in Zukunft möglichst fair und nachhaltig gestalten? Wie schaffen wir es, MusikerInnen, in Zeiten, da ihnen so viele Möglichkeiten zur Produktion und Verbreitung ihrer Musik zur Verfügung stehen wie noch nie zuvor, symbolische und finanzielle Anerkennung für ihr Schaffen zukommen zu lassen?

Die Zeiten der Zentralisierung sind vorbei, dementsprechend müssen dezentrale, anpassungsfähige und flexible Prozesse her. Die Suche nach fairen Verfahren der Vergütung in einer modernisierten Musikindustrie der Zukunft ist in vollem Gange. Denn eines ist sicher: Der ‘traditionellen’ Musikindustrie fehlt bisher ein Plan auf lange Sicht.

Dabei spielen insbesondere neue Formate wie digitale Distributionsdienste eine wichtige Rolle, bei denen Mittelsmänner zwischen MusikproduzentIn und -konsumentIn überflüssig werden – auf Algorithmen basierende Programme helfen dabei, den Zahlungsfluss für MusikerInnen nicht nur einfacher, sondern vor allem auch transparenter zu machen – ein Aspekt, der seit Jahrzehnten in Hinblick auf die Arbeit von Plattenfirmen und mittlerweile auch bezüglich des Vorgehens von Streaming-Diensten vermisst wird.

In den USA ist man da offensichtlich schon ein bisschen weiter als hierzulande, indem man seit geraumer Zeit digitale Verfahren der Vergütung von MusikerInnen im Internet eingehender und mit großem Elan erforscht. Der Hoffnungsträger unter diesen neuen Technologien, die zu Rettern der Musikbranche avancieren könnten, ist die Blockchain-Technologie.

Was ist Blockchain?

Die Blockchain-Technologie wurde vom Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto (wer genau sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, bleibt bis heute ein Geheimnis) ursprünglich für Bitcoin-Transaktionen entwickelt. Dabei handelt es sich im Grunde um eine Kette aus Transaktionsblöcken, einem Netzwerk aus sogenannten digital assets (digitalen Vermögenswerten), zu der alle an der Transaktion beteiligten Parteien Zugriff haben. Man kann es sich wie ein riesiges, jeder Zeit von allen Beteiligten einsehbares und daher dezentralisiertes Hauptbuch vorstellen.

Für Transaktionen bedeutet das, dass sie somit transparenter und nachvollziehbarer werden, da alle an der Transaktion beteiligten Parteien zu jeder Zeit auf sie zugreifen und somit den (Krypto-)Geldfluss nachvollziehen können.

Ein kleiner Vergleich gefällig? Der Blockchain-Experte William Mougayar hat die Blockchain-Technologie mit Googles Doc- und Spreadsheet-Programm verglichen: Statt ein Dokument zu verfassen, das ich dann einer anderen Person zur Korrektur und Annotation schicke, können wir in einem Google Doc oder Spreadsheet nicht nur gleichzeitig Veränderungen an dem Dokument vornehmen, sondern zudem auch noch nachvollziehen, welche Veränderungen die andere Person vorgenommen hat. Im ersten Fall gibt es nicht nur weniger Transparenz, sondern ich muss zudem auch noch länger auf das gewünschte Feedback warten.

Und so sieht das Ganze dann aus:

Was bedeutet das nun für die Bezahlung von MusikerInnen?

Die Blockchain wurde mittlerweile weit über ihre Effektivität in Hinblick auf finanzielle Transaktionen hinaus weiterentwickelt, wobei sich stark der Aspekt der Open Source, auf dem die Blockchain basiert, zunutze gemacht wird. So bietet sie in Hinblick auf die Musikbranche das Potential einer riesigen gesharten Datenbank, in der Metadaten von Musikproduktionen einfacher und verständlicher zugänglich gemacht werden.

Das Sammeln von (musikbezogenen) Metadaten in einem frei zugänglichen Pool könnte in diesem Kontext – natürlich in geschützter und klar geregelter Form – einen positiven Beitrag leisten, indem beispielsweise auch Fans wertvolle Informationen beitragen. Dabei rücken nicht nur die MusikerInnen zurück ins Zentrum ihres eigenen Schaffens und des Vertriebs ihrer Musik, sondern es wird zudem mehr Wert auf Zusammenarbeit mit den ZuhörerInnen gelegt, die so nicht mehr nur pure KonsumentInnen sind, sondern ‘MitarbeiterInnen’ und somit zum Teil des musikalischen Prozesses und Austauschs werden können.

Diese Metadaten (wie Songwriter, InterpretIn, RechteinhaberIn usw.) werden auf effizientere Art zur Verfügung gestellt, sodass schneller und effektiver festgestellt werden kann, wer an einem Song beteiligt war und dementsprechend beim Kauf oder Stream des Songs ein Stück vom Kuchen abbekommen muss.

Denn hierin besteht eines der zentralen Probleme von Streaming-Diensten, die häufig in der Kritik stehen, MusikerInnen, deren Musik auf ihrer Plattform angeboten wird, nicht adäquat dafür zu entschädigen: Häufig sind die von der Musikindustrie bereitgestellten Metadaten von Musikproduktionen wenig aufschlussreich in Hinblick auf all diejenigen, die an der Produktion beteiligt waren.

So hat beispielsweise Spotify vor kurzem das Blockchain-Unternehmen Mediachain Labs erworben, um bei seinen Daten Reine zu machen und auf einen faireren Vergütungsprozess hinzuarbeiten.

Direkter Austausch dank der Blockchain

Die Musikerin Imogen Heap, die ganz weit vorne mit dabei ist, wenn es um technische Innovationen für die Musikbranche geht und dafür – als bisher einzige Frau – einen Technical Grammy gewonnen hat, hat eine solche Zukunftsvision der Musikbranche in einem Interview mit Forbes Magazine als “Open Source, als ein lebendiges, atmendes, intelligentes, dezentralisiertes, transparentes, anpassungsfähiges, nützliches, glänzendes Zuhause für unsere Liebe, die Musik” beschrieben. Eine solche Bibliothek, ein solches Netzwerk aus KünstlerInnen, Fans und nachvollziehbaren Metadaten der produzierten und in Umlauf gebrachten Musik bezeichnet sie als Mycelia.

Die Blockchain-Technologie könnte dementsprechend für die Bezahlung von MusikerInnen bedeuten, dass diese direkter, transparenter und fairer abläuft. Das Geld fließt von der Person, die einen Song kaufen (oder streamen) will, direkt in die Tasche – oder besser den ‘Bitcoin Wallet’ – derjenigen, die Anspruch auf das Geld für den Song haben – kein Umweg über eine dritte Partie, die für ihre Dienste einen Anteil des bezahlten Geldes nimmt, wie dies beispielsweise bei traditionellen Plattenfirmen der Fall ist.

Somit wird zum einen der Weg des Geldes transparenter und nachvollziehbarer – alle durch die gesharten Metadaten als ‘RechteinhaberInnen’ identifizierten Personen müssen der Transaktion zustimmen. Es geht dementsprechend um Feedback und Konsens. Zum anderen bedeutet das für MusikerInnen oder die Personen, die die Rechte eines bestimmten Songs besitzen, letzten Endes nicht nur mehr Überblick darüber, wie viele Menschen eigentlich ihre Musik kaufen, sondern eben auch: mehr Geld.

Mehr Freiheit für unabhängige MusikerInnen

Wie viele KritikerInnen angemerkt haben, ist die Blockchain-Technologie noch nicht vollkommen ausgereift und weist die eine oder andere Lücke auf. Nichtsdestotrotz birgt sie immenses Potential für eine in Zukunft dezentralisierte, transparentere und somit auch fairere Bezahlung derjenigen, die ihre Musik auf dem Markt anbieten.

Wenn du selbst Musik veröffentlichst, weißt du, wie wichtig es ist, für sein Herzensprojekt Anerkennung zu bekommen. Diese Anerkennung muss nicht immer in finanzieller Form daherkommen, fest steht jedoch: Diejenigen, bei denen das Geld, das die treuen Fans für ihre Musik bezahlen, nicht ankommt, werden ihre Leidenschaft nie zum Beruf machen können.

Das Blockchain-Verfahren könnte eine ideale Ergänzung darstellen, wenn du deine Musik selbst promotest und auf ‘traditionelle’ Instanzen wie ein Plattenlabel verzichten möchtest – selbst ist, wer Musik macht.

Daher lohnt es sich, die Augen offen zu halten und die am Horizont erkennbaren Umbrüche zu beobachten, es wird sich – und zwar nicht nur in Form von Geld – auszahlen. Ob man sich nun im “Fluch”- oder “Segen”-Lager befindet, was das Internet und die Digitalisierung anbelangt: Lösungen müssen her, zu unser aller Wohl. Ideen wie die der Blockchain sind da ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und könnten dazu führen, dass sich die digitale Musikbranche in Zukunft fairer gestaltet und niemand mehr der Musik halber vor Gericht ziehen muss.

Auch wenn RichterInnen dann vielleicht nicht mehr soviel zu tun hätten: Der Musik würde es gut tun.