Weshalb Streaming und Playlists nie das Album-Format ersetzen werden

Weshalb Streaming und Playlists nie das Album-Format ersetzen werden

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Ist das Album wirklich passé?

Es stimmt. Das Album ist passé. Zumindest das Album, wie wir es kennen…

Bevor du deine Plattenhüllen und CD-Ständer nach mir schmeißt, lass mich meinen Punkt zu Ende führen. Zu Zeiten des Streamings kann es leicht vorkommen, dass Singles oder Playlisten dem Album vorgezogen werden.

Dieselben Gründe, die das Album “unwichtig” gemacht haben, sind jedoch gleichzeitig auch der Beweis dafür, dass es lebendiger ist als jemals zuvor. Insbesondere für MusikerInnen, die ihre eigene Distribution betreiben.

Die bisherige Definition des Albums mag veraltet sein. Es ist jedoch in seiner neuen Form noch mächtiger und bedeutender für die InterpretInnen und NICHT einfach nur etwas, das die Plattenindustrie als Produkt vermarktet.

In einem Moment, da das Streaming und Playlisten alles beherrschen, ist es an der Zeit, die Funktion des Album-Formats neu zu denken – insbesondere in Hinblick darauf, wie es für dich selbst funktionieren kann.

ARTEN DES ZUHÖRENS

Klar, wir alle hören hier und da noch in Alben rein – wenn wir von unseren Favoriten nicht genug bekommen können und daher das Album von Anfang bis Ende verschlingen. Es zeichnet sich jedoch immer deutlicher ab, dass wir hauptsächlich einzelne Songs und Playlisten streamen.

Das vom Bundesverband der Musikindustrie (BVMI) herausgegebene Jahrbuch 2016 konstatiert, dass die CD als physischer Tonträger trotz eines Rückgangs von 9% nach wie vor 54% der Umsätze ausmacht (dabei haben, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, mit 62,4% aller gekauften physischen Tonträger die Alben-Käufe die Nase vorne).
Streaming-Dienste haben mächtig zugelegt und liegen mittlerweile bei 24,1% der Gesamtumsätze der Musikindustrie – 2015 waren es lediglich 15%. Es lässt sich dementsprechend ein rapides Wachstum des Streamings und Playlistings (das sich übrigens, wie im Jahrbuch vermerkt wird, auf die deutschen Charts, also auch unseren Musikgeschmack, ausübt) erkennen.

In den USA, der weltweit größten und einflussreichsten Musikindustrie, sieht die Welt schon ganz anders aus: Im Music Biz Verbraucherbericht von 2016 haben 77% der TeilnehmerInnen angegeben, dass sie hauptsächlich Playlisten oder einzelne Songs streamen. Im Vergleich dazu gaben nur 22% der Befragten das Album als ihr bevorzugtes Format an.

D.h. das traditionelle Konzept des Albums – ein physisches Objekt, das man in den Händen halten kann, während man sich in seinem Universum verliert - befindet sich dort noch stärker auf dem absteigenden Ast.

Die Großen der Branche nennen ihre “Alben” teilweise schon gar nicht mehr so. Drake veröffentlicht jetzt Playlisten. Beyoncé macht Visuals. Chance hat das Mixtape neu definiert. Frank Ocean veröffentlicht 45-minütige Videos.

Man kann es ihnen nicht vorwerfen, dass sie zunehmend von dem veralteten Konzept Abstand nehmen. Alben wurden auf eine bestimmte Weise veröffentlicht, weil die Musikindustrie an das physische Format gebunden war.

Diese Restriktionen bestehen allerdings nicht mehr. Die digitale Distribution kennt keine Grenzen.

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ALBEN: EIN ERSTER SCHRITT

Es lohnt sich, das Ganze mal genauer zu betrachten. Das Album war früher das letzte Glied in der Kette des Musikkonsums: Album kaufen, das Teil komplett anhoren, alles super finden.

Alben, die heutzutage veröffentlicht werden, kommen sofort in den Sog des Streamings – und werden somit in einzelne Fragmente über verschiedene Algorithmen und auf diverse Playlisten zerlegt.

2016 wurden 36,4 Milliarden Songs gestreamt, während es lediglich 78,3 Millionen Downloads (davon 66,1 Millionen Singles) gab. In den USA wurden im Jahr 2016 sogar täglich mehr Songs gestreamt (1,2 Milliarden) als im ganzen Jahr gedownloadet (734 Millionen).

Das Album war früher der finale Schritt des Musikkonsums: Album kaufen, das Teil komplett anhoren, alles super finden.

Streaming-Plattformen, ihre Makel hin oder her, haben definitiv dabei geholfen, wieder ein bisschen Ordnung in die Musikwelt zu bringen nach den dunklen Zeiten der frühen digitalen Downloads.

Wenn wir mittlerweile eine gewisse Idee von Zukunftsfähigkeit gewonnen haben, ist das Album-Format dieser jedoch definitiv zum Opfer gefallen.

WAS GEHÖRT WIRD, WIRD DER LISTE HINZUGEFÜGT

Playlisting ist einer der Hauptauslöser für das rapide Wachstum des Streamings.

Digitale Musikshops wie Spotify oder Tidal sind Dienste, die weit mehr anbieten als den Verkauf von Alben zu Streaming- und Download-Zwecken.

Der zusätzliche Dienst, den Streaming-Plattformen bereitstellen, basiert hauptsächlich auf dem Konzept der Playlist. Algorithmen, Zusammenstellungen und Themen bestimmen heutzutage, wie wir Musik hören – ein Job, den früher das Album erledigt hat.

Das ist natürlich nichts Neues, denn es ist ja nicht so, dass Spotify die Playliste erfunden hätte. Schon seitdem es MP3s gibt, sind wir fleißig mit dem Playlisting zugange.

Der Unterschied besteht darin, dass die Streaming-Plattformen uns die Arbeit jetzt abnehmen bzw. uns das Erstellen unserer eigenen Playliste erleichtern.

Die Playlisten, die wir früher erstellt haben, bestanden häufig nur aus ca. 20, fix für den Roadtrip zusammengewürfelten Songs. Oder dem Megamix für die WG-Party.

Doch seit Streaming-Plattformen es uns um einiges leichter gemacht haben, Alben in ihre Einzelteile zu zerlegen, gibt es exponentiell mehr Playlisten, und zwar für so ziemlich alles…

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DIE PLAYLISTEN-WELLE

Und was sind die Folgen des Playlistings?
Alles in allem ist das bezahlte Streaming in Deutschland 2016 um über 50% angestiegen, während Albumverkäufe um ca. 33% zurückgegangen sind.

In den USA stieg die Zahl derjenigen, die für das Streaming bezahlt haben, um 83%, während 16% weniger Alben verkauft wurden. Tut uns leid, Rob Gordon.

Stell dir Alben wie Pizzen vor: Früher haben wir uns die Tiefkühlpizza gekauft, in den Ofen geschoben und dann selbst geschnitten.

Streaming-Plattformen und automatisches Playlisting liefern uns die Playlist-Pizza dampfend heiß und in perfekte, gleich große Stücke geschnitten. Außerdem bekommen wir dazu noch Chicken Wings und ein Tiramisu als Nachtisch. Wer kann da nein sagen?

Anscheinend ist es um einiges einfacher – und leckerer -, wenn man die Pizza fertig serviert bekommt…

ALBUM-EQUIVALENT UNITS

Auch die Plattenindustrie musste sich unseren neuen Arten des Zuhörens anpassen.

Streams, Plays, Verkäufe und Listens jeglicher Art müssen miteinbezogen werden, wenn man den Erfolg von MusikerInnen messen möchte. Einfach nur nach verkauften Alben zu gehen, reicht heutzutage nicht mehr.

Die Lösung für die Messung all dieser Listens wird mit einem der abgefahrensten Termini der Musikbranche bezeichnet: die Album-Equivalent Unit.

Album-Equivalent Units stellen die neue Definition des Albumverkaufs dar. Sie berücksichtigen alle Faktoren, inklusive Streaming-Zahlen, digitaler sowie traditioneller Albumverkäufe, um den Erfolg eines Albums zu messen.

Ein Beispiel: Wenn der Song eines Albums 1.500 mal gestreamt wird, dann wird das unter den neuen Rahmenbedingungen als “Albumverkauf” gezählt. Das heißt, selbst wenn du NUR EINEN Song eines Albums 1.500 mal streamst, wird das in den Billboard 200 als “Albumverkauf” verbucht.

Album-Equivalent Units stellen die neue Definition des Albumverkaufs dar. Sie berücksichtigen alle Faktoren, inklusive Streaming-Zahlen, digitaler sowie traditioneller Albumverkäufe, um den Erfolg eines Albums zu messen.

Klingt erstmal befremdlich, passiert aber andauernd. Und zwar aufgrund des Playlistings.

Es kommt häufig vor, dass Songs auf extrem beliebten Playlisten auftauchen und hunderttausende Male gespielt werden, während der Rest des Albums kaum Aufmerksamkeit bekommt.

Dementsprechend kann es passieren, dass ein Album alleine aufgrund des Erfolg eines einzigen Songs Gold oder Platinum bekommt. Diese Veränderung hat die Art und Weise, wie Musik vermarktet und veröffentlicht wird, signifikant beeinflusst.

NEUE WEGE

Wo bleibt dabei das Album? Ist es dazu verdammt, sein Dasein als Futtermaschine für Playlisten zu fristen? Ein längst überkommenes Format, das wir nur deshalb weiterhin produzieren, weil wir es so gewohnt sind?

Definitiv nicht.

Und wenn das Album Geschichte ist, warum produzieren dann nicht einfach alle nur Singles in der Hoffnung, es auf eine beliebte Playliste zu schaffen?

Ganz einfach: Alles, was ich vorher erwähnt habe, sollte als BEWEIS dafür angesehen werden, dass das Album nach wie vor essentiell für die Musik ist… Wir müssen es lediglich neu definieren.

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DAS ALBUM IST NICHT LÄNGER EIN FORMAT, SONDERN EIN ANSATZ

Alben sind nicht passe. Streaming hat lediglich bewirkt, dass sie in den Hintergrund gerückt sind. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass man sie sich nicht kreativ zunutze machen kann.

Mit einer Album-Mentalität an die Musikproduktion heranzugehen, hilft MusikerInnen in einer Weise, die Streaming nicht überkommen kann. Hier ein paar essentielle Vorteile, die das Album MusikerInnen bietet:

Alben als gesunde Limitierungen:

Indem du das Album als Format für ein Projekt im Hinterkopf behältst, setzt du dir eine hilfreiche Grenze in Bezug auf die Anzahl der Songs, die du wirklich zu Ende bringen musst.

Wenn du eine traditionelle Albumlänge (10-20 Songs) anpeilst, wird alles viel einfacher, als wenn du dich mit einer unendlichen Anzahl an Tracks herumschlagen musst.

“Es gibt einen schmalen Grat zwischen der Zufriedenstellung deiner Fans und einer Performance auf Höchstniveau.” – Paul Cantor. Schriftsteller, Redakteur und Musikproduzent

Darin besteht eine effektive Qualitätskontrolle. Falls du dir bezüglich mancher Songs nicht sicher bist, dann können sie eventuell nicht Teil des Release sein, sofern du deinem Album-Format treu bleibst.

Paul Cantor hat vor kurzem einen Artikel über die Fallen der Albumlänge geschrieben, in dem er konstatierte: “Es gibt einen schmalen Grat zwischen der Zufriedenstellung deiner Fans und einer Performance auf Höchstniveau.”

Wir sind mittlerweile daran gewöhnt, in kürzester Zeit mit Unmengen an Musik bombardiert zu werden, was häufig Kompromisse bezüglich der Qualität bedeutet.

Mit einer Album-Mentalität setzt du dir gewisse Grenzen, die dir dabei helfen zu entscheiden, was bleibt und was weg muss. Das führt dazu, dass du bessere Musik veröffentlichst.

Alben bedeuten Deadlines:

Deadlines. Wir alle brauchen sie. Sie können fies sein oder auch unglaublich hilfreich. Wenn du jedoch einfach so Songs produzierst und sie veröffentlichst, sobald sie fertig sind, dann ist es häufig schwierig, einen bestimmten Zeitplan für dein Projekt zu erstellen.

“Bis zum 18. Juli will ich 20 Songs fertig haben” ist viel leichter zu handhaben als “Bald will ich 20 Songs fertig haben”. Im ersten Fall werden die Dinge erledigt. Im zweiten… nicht so wirklich.

Brian Eno (der unumstrittene Musik-Guru kreativer Effizienz) hat die Wichtigkeit von Album-Deadlines 2013 sehr treffend in seiner RBMA Vorlesung zusammengefasst:

“Die zwei Dinge, die gute Alben hervorbringen, sind Deadlines und kleine Budgets. Die zwei Dinge, die schlechte Alben hervorbringen, sind keine Deadline und unbegrenzte Budgets.” – Brian Eno

Die Album-Methode hilft dir dabei, eine gesunde Deadline für ganze Song-Gruppen zu setzen – was dazu führt, dass die Dinge erledigt werden.

Alben verändern deine Einstellung:

Wenn du mit einem Album-Mindset produzierst, hilft dir das dabei, ein wenig mehr Zeit für die Kreation freizuschaufeln und ein Konzept zu erstellen.

Mit einem Album-Projekt kannst du viel eingehender gewisse Konzepte erkunden. Alben können ausgedehnte und opulente Geschichten mit Höhen und Tiefen, dunklen und hellen Abschnitten erzählen und somit eine allumfassende Erfahrung schaffen.

Ein Album bietet dir – und den ZuhörerInnen – ein komplettes konzeptuelles Universum, in das ihr euch vertiefen könnt. Ideen und Konzepte können sich mit der Zeit frei entfalten und Narrative gedeihen.

Ein Album bietet dir – und den ZuhörerInnen – ein komplettes konzeptuelles Universum, in das ihr euch vertiefen könnt.

Ein Konzept, das sich über ein ganzes Album erstreckt, hilft auch beim Entscheidungsprozess. Wenn du dir bezüglich einer gewissen Wahl nicht sicher bist, kann dir das Album als holistisches Konzept bei der Entscheidung behilflich sein.

Wenn ein Song Teil einer Geschichte oder eines Konzepts ist, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass ZuhörerInnen auch den Rest hören wollen – eine erster Schritt in Richtung eines neuen Super-Fans, der dein Album einem Fragment auf einer Playliste vorzieht.

Alben als Meilensteine:

Alben bieten das Potential, eine bestimmte Phase deiner Entwicklung als MusikerIn abzubilden. Die Fertigstellung eines Albums stellt den perfekten Zeitpunkt dar, um einen spezifischen Sound oder Einflüsse, denen du während der Schaffensphase verbunden warst, hinter dir zu lassen und weiterzuziehen.

Sie schaffen diese markanten Momente in deiner Entwicklung, denen du entweder treu bleibst, oder von denen du dich wieder entfernst.

In vielen Karrieren fungierten Alben als Meilensteine: Stevie Wonders Album Music From My Mind markierte seine Bewegung weg vom Motown und hin zum freakigen Universum der Synthesis. Bob Dylans Bringing it all Back Home markierte den Anbruch seiner ‘elektrischen Phase’.

Ohne das Album würden diese Momente untergehen und der kreative Bogen würde an Schärfe verlieren. Wenn du Alben als Momente in deiner Entwicklungsgeschichte ansiehst, schaffst du dir somit Übergangsphasen, die deinen Sound voranbringen.

EIN ALTES FORMAT NEU DENKEN

Das Album ist passé. Zumindest für einen Großteil der ZuhörerInnen, die das Playlisting bis zum Umfallen betreiben. Die kreativen Denkweisen, die das Album-Format hervorgebracht hat, sind jedoch für MusikerInnen nach wie vor extrem wichtig.

Das Album bietet dem kreativen Schaffensprozess einen Rahmen in Zeiten, da Songs auf sehr neue und andere Art und Weise konsumiert werden.

Wenn der Konsum von Musik derart fragmentiert stattfindet, ist das Album ein Anker der Kreativität und bietet ein Vehikel für Ideen, die eine Struktur brauchen, um Bestand zu haben.

Über Jahrzehnte hinweg diente uns das Veröffentlichen von Alben als eine Schablone für das Veröffentlichen von Musik im Allgemeinen – eine Schablone, die zu nützlich ist, um von MusikerInnen in die Geschichtsbücher verbannt zu werden.